»Hasskommentare« in sozialen Netzwerken

Wie kann man verbaler Gewalt begegnen, ohne sie selbst ausüben zu müssen?

Foto: »Dislike concept with hand on blue background« von zakokor/fololia.com; Montage: GfdS

Foto: »Dislike concept with hand on blue background« von zakokor/fotolia.com; Montage: GfdS

Was läuft eigentlich verkehrt, wenn ein junger Mann aus Berlin das Bild eines ertrunkenen Kindes auf Facebook mit den Worten »Wir trauern nicht, sondern wir feiern es!« kommentiert? Wie geht eine demokratische Gesellschaft mit solchen in der Öffentlichkeit getätigten Äußerungen um? Muss man das Unternehmen in die Pflicht nehmen, von der Löschfunktion konsequenter Gebrauch zu machen?

Bundesjustizminister Heiko Maas hatte bereits Ende August Facebook in einem öffentlichen Brief dazu aufgefordert, sogenannte »Hasskommentare« zu löschen.1 Tatsächlich können Posts, die gegen die Regeln des Netzwerkes verstoßen, von anderen Nutzern gemeldet und durch Facebook zensiert werden. Dies geschieht zum Beispiel bei Urheberrechtsverstößen oder – sicherlich der Prüderie des amerikanischen Konzerns geschuldet – bei der Darstellung unbekleideter weiblicher Brüste.

Bei der Meldung von rassistischen Inhalten zeigt sich das Unternehmen hingegen anscheinend kulanter: Hier erhalten die Nutzer, die eine offensichtlich diffamierende Äußerung gemeldet haben, oftmals den Hinweis, dass der Kommentar geprüft wurde, aber nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstoße. Eva-Maria Kirschsieper, Facebook-Sprecherin in Deutschland, begründet: »Die Lösung kann nicht sein, dass man Menschen das Sprachrohr nimmt«.2 Zugleich verkündet ihre Kollegin Tina Kulow jedoch: »Rassismus hat keinen Platz auf Facebook!« Ein schwieriger Spagat.

Nach einem Treffen zwischen Heiko Maas und Richard Allen (Manager of Policy bei Facebook Europe) zeichnet sich nun ab: Nicht Facebook allein wird wohl in die Pflicht genommen, sich um die unliebsamen Kommentare zu kümmern. Eine »Task Force«, bestehend aus Vertretern von Facebook, zivilgesellschaftlichen Organisationen und NGOs, soll sich der Problematik annehmen.3

Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint – vor allem hinsichtlich des eingangs erwähnten Kommentars des Berliners, der aber nur die Spitze des Eisbergs darstellt – , eröffnet ein weites Feld an Fragen, Diskursen und damit zusammenhängenden Problemen: Was zeichnet einen Kommentar eindeutig als »Hasskommentar« aus? Wann stellt dieser juristisch einen Straftatbestand dar? An welchen Kriterien wird der Vorwurf der sprachlichen Gewalt überprüft und geahndet? Und schließlich: Ist nicht das Mittel der Zensur eine besonders harte Form von verbaler Gewalt, indem das Rederecht eines Kommunikationsteilnehmers durch eine übergeordnete Instanz beschnitten wird?

Fest steht: Sprachliche Gewalt entsteht nicht aus sich selbst heraus. Prof. Dr. Peter Schlobinski, Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache, hat Sprachmuster und Sprachsymbole in rechtsextremen Musikszenen untersucht. Die Erkenntnisse sind auch auf die aktuelle Debatte um Äußerungen in sozialen Netzwerken anzuwenden: »Sprachliche Gewalt […] kann durch eine veränderte, symmetrischere und herrschaftsfreiere Sprachpraxis gebannt werden. Dies allerdings setzt voraus, dass sprachliches Handeln als gesellschaftliches Handeln begriffen wird und dass diskriminierende Sprachpraxis offengelegt und bewusst gemacht wird.«4

Das heißt also: Aufklärung. Medienkompetenz. Reflektion über eigene Ansichten. Sich der Verantwortung bewusst sein hinsichtlich getroffener Aussagen. – Kurzfristig ist mit diesem Ansatz dem derzeitigen Problem sicherlich nicht beizukommen. Er zielt auf eine nachhaltige Lösung: auf die gezielte Schulung der sprachlichen und somit kulturellen Kompetenz. Im Kernlernplan des Landes Nordrhein-Westfalen für das Fach Deutsch wurde bereits 2004 die Notwendigkeit formuliert, »Sprache […] und Medien als bedeutsam [zu] erfahren«, »die Wirkungsweisen von Medien zu kennen und einzuschätzen«, »die in der Öffentlichkeit diskutierten Probleme wahrzunehmen, vorgetragene Argumente nachzuvollziehen sowie dazu kritisch und wertend Stellung zu nehmen«.5


1 https://www.tagesschau.de/inland/facebook-maas-101~_origin-0bd499e5-9a13-4a5e-9217-f418e5440ce5.html
2 http://t3n.de/news/facebook-hatespeech-fehler-gemacht-637860/
3 http://motherboard.vice.com/de/read/facebook-weigert-sich-konkret-gegen-hasskommentare-vorzugehen-423
4 Einführung von Peter Schlobinski & Michael Tewes: »Sprache und Gewalt«, in: Der Deutschunterricht (Heft 5/2007)
5 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (2004). Sekundarstufe I. Gymnasium. Deutsch. Kernlehrplan. Düsseldorf. Dass. (1999): Sekundarstufe II. Gymnasium/Gesamtschule. Deutsch. Richtlinien und Lehrpläne. Düsseldorf.


Weiterführendes zum Thema

Interview »Sprache und Gewalt«. Sechs Fragen an Prof. Dr. Sybille Krämer
• Einführung von Peter Schlobinski & Michael Tewes: »Sprache und Gewalt« [Download als PDF]
»Aktionismus ist zu befürchten«, Kommentar von Armin Conrad, Stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache
• Im Verlauf des DFG-Projekts »Sprachmuster und Sprachsymbole in rechtsextremen Musikszenen« sind zahlreiche Publikationen und Arbeiten entstanden. Einige der Arbeiten können bei mediensprache.net kostenlos als PDF heruntergeladen werden.
• Zum Themenbereich »Performanz sprachlicher Gewalt« empfehlen wir darüber hinaus die Arbeiten von Prof. Dr. Sybille Krämer