Herkunft und Bedeutung von blauer Brief

[F] Was hat es denn mit dem Ausdruck blauer Brief auf sich? Ich muss ihn für eine Kindersendung erklären und konnte in den mir zugänglichen Nachschlagewerken – so Lutz Röhrichs Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, wo ich immer fündig werde – nicht viel entdecken.

[A] Im großen Wörterbuch der deutschen Sprache (Dudenverlag 1993) ist die heute gewöhnlich damit verbundene Bedeutung vermerkt: ›Mitteilung der Schule an die Eltern über die gefährdete Versetzung ihres Kindes‹, daneben auch ›Kündigungsschreiben‹. Zur weiteren Herkunft dieser Wendung wird gesagt: »nach dem blauen Umschlag des Briefs, in dem [seit 1870] einem Offizier der Abschied mitgeteilt wurde«.

Heinz Küpper ist in seinem Illus­trierten Lexikon der deutschen Umgangssprache (Band 3, 1983) ausführlicher. Als Bedeutung nennt er: »a) Kündigungs­schreiben; Versetzung in den Ruhestand; schriftliche Mahnung«, »b) Einberufungsbefehl«, »c) schriftlicher Tadel«. Zum Sachhintergrund heißt es: »Zusammenhängend mit dem blauen Umschlag, in dem die Kabinettsschreiben bezüglich der Entlassung verschickt wurden. Um 1870 in Offizierskreisen aufgekommen.« Küpper weist blauer Brief der Soldaten-, später der Schülersprache zu. Die Teil­bedeutung ›Mitteilung der Schule an die Eltern über die gefährdete Versetzung ihres Kindes‹ übergeht er allerdings.

Weitergehende Informationen sind Walter Transfeldts Sammlung Wort und Brauch im deutschen Heer (Hamburg 1976, S. 20) zu entnehmen. Ich zitiere die betreffende Passage in all ihrer Umständlichkeit – wenn auch nicht jede Einzelheit dabei mit letzter Sicherheit geklärt wird: »Da die von den preußischen Königen an die höheren Offiziere vom Regimentskommandeur an aufwärts gerichteten Kabinettsorders in persönlichen Angelegenheiten (Ernennungen, Beförderungen, Versetzungen, Verabschiedungen usw.) in Umschlägen von blauem Papier verschlossen waren, wurden sie im Volksmunde ›Blaue Briefe‹ genannt. Der aus grobem, starkem, blauem Papier hergestellte Briefumschlag mag ursprünglich dazu bestimmt gewesen sein, unbefugten Einblick in königliche Befehle zu verhindern. Über die Geschichte dieses Briefumschlags enthält Näheres das Schreiben des Chefs des Militär-Kabinetts vom 15. 8. 1877, in welchem es heißt: ›Se. Majestät der Kaiser und König haben Sich dahin auszusprechen geruht, daß Allerhöchst dieselben den althergebrachten, seit der Regierungszeit Sr. Majestät Friedrichs des Großen in Übung befindlichen Brauch, wonach die Allerhöchsten Kabinettsordres in blauen Briefumschlägen verschlossen werden, aufrecht zu erhalten, dagegen die anderweitige Benutzung blauer Briefumschläge im Dienstverkehr bei der Armee tunlichst vermieden zu sehen wünschen.‹«

Nach der Lektüre dieser Sätze und der Vergegenwärtigung jenes althergebrachten Brauchs – es geht Ihnen vermutlich so wie mir – darf man sich weiterer Nachforschungen wohl enthalten.