Die Zeiten ändern sich

»Tempora mutantur et nos mutamur in illis«, wie es so schön auf Lateinisch heißt. Dass sich die Zeiten ändern und wir uns in ihnen, wollte wohl kaum jemand bestreiten, so dass der lateinische Spruch nach wie vor seine Gültigkeit besitzt. Aber nicht nur wir ändern uns in und mit den Zeiten, auch die Sprache tut das, und dies oft in aufschlussreicher Art und Weise.

So informiert eine Filiale einer großen Bäckereikette mit einem Schriftzug am Schaufenster darüber, dass sich im Innenraum ein Sitz-Café befindet. Diese Wortschöpfung ist in keinem aktuellen Wörterbuch des Deutschen verzeichnet, dem Duden bekannt ist lediglich das Stehcafé. Interessant ist nun die Überlegung, worauf man im Gebrauch durch den Zusatz steh bzw. sitz zu dem einfachen Wort Café eigens hinweisen zu müssen meint.

Die Bildung Stehcafé legt nahe, dass man im Normalfall eines nicht näher charakterisierten Cafés selbstverständlich sitzen kann. Besteht keine Möglichkeit zu sitzen, liegt gewissermaßen ein Sonderfall vor, der eine Benennung des Sachverhalts erfordert. Im Falle von Sitz-Café ist es genau umgekehrt. Hier scheint die Möglichkeit zu sitzen als außergewöhnlich angesehen zu werden, so außergewöhnlich, dass durch die sprachliche Bezeichnung eigens darauf hingewiesen wird.

Und hier trifft sich nun die sprachliche Schöpfung Steh-Café mit der modernen Zeit. Denn wer hat heutzutage schon die Zeit zu sitzen? Kaffee wird natürlich nach wie vor getrunken, und zwar in rauen Mengen, vorzugsweise nicht einmal im Stehen, sondern gleich »to go«, also ›zum (bzw. im) Gehen‹. In unseren modernen Zeiten ist es also offenkundig normal geworden, einen Kaffee gehend etwa auf dem Weg zur Arbeit zu sich zu nehmen, und das Sitzen in einem Café wurde zu einem benennungsbedürftigen Ereignis.

Und möglicherweise werden künftig auch Wörterbücher sogar das »Steh-Café« als nicht mehr zeitgemäß aus ihrem Wortschatz streichen um nur noch ein »Geh-Café« zu verzeichnen. Da sich aber weder die Zeiten noch wir noch die Sprache schlagartig ändern, haben wir einstweilen neben »Steh-Cafés« und Anbietern für Kaffee zum Mitnehmen noch eine stattliche Anzahl von (Sitz-)Cafés, die die Bereitstellung einer Sitzgelegenheit und eines mehr oder weniger längeren Aufenthalts als noch so selbstverständlich ansehen, dass sie sich einfach als »Café« bezeichnen.

Nicola Frank