Historisches Wörterbuch der Elektrotechnik, Informationstechnik und Elektrophysik

Alfred Warner. Frankfurt/Main: Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch 2007. XV, 475 Seiten. ISBN 978-3-8171-1789-5. 46 €.

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Wörterbücher sind einerseits praktische Hilfsmittel, die der Information über den Wortschatz und so der Sicherung der Kommunikation dienen. Als Dokumentationen des Sprachgebrauchs und des Sprachverständnisses dienen sie zugleich der Sicherung des kollektiven Gedächtnisses einer Sprachgemeinschaft. Weil daher der Wert von Wörterbüchern von großer Dauer ist, mag es verzeihlich erscheinen, dass ein sehr wichtiges und neuartiges Wörterbuch hier nur mit einiger Verspätung angezeigt wird.

Wie der Titel schon deutlich macht, handelt es sich bei dem von Alfred Warner, bis 1997 Leiter des VDE Prüf- und Zertifizierungsinstituts sowie Geschäftsführer des VDE Verband Deutscher Elektrotechniker e. V. und seit 1977 Mitglied des Hauptvorstands der GfdS, in langjähriger Arbeit mit beeindruckender Sorgfalt erstellten Wörterbuch um ein lexikographisches Werk, das fachsprachliche Begriffe historisch erklärt. Weil es sich weniger auf die bezeichneten Sachen als auf die im Fach üblichen Bezeichnungen und deren Bedeutungen konzentriert, ist es ein Fachwörterbuch (aber kein Lexikon). Zugleich ist es ein historisches Wörterbuch, in dem der Fachwortschatz der drei Gebiete: Elektrotechnik, Informationstechnik und Elektrophysik nicht nur synchron gegenwartsbezogen, sondern in seiner historischen Entstehung und Entwicklung dargestellt und erläutert wird. Indem es unterschiedliche Wörterbuchtypen, -konzepte und lexikographische Strategien in sehr gelungener Weise miteinander verbindet, ist das »Historische Wörterbuch der Elektrotechnik, Informationstechnik und Elektrophysik« (HWEIE) in der heutigen lexikographischen Landschaft etwas ganz Besonderes.

Das alphabetisch angelegte Wörterbuch enthält mehr als 500 Stichwörter (Verweislemmata nicht mitgerechnet), bei denen es sich um die unterschiedlichsten Fachbegriffe der Elektrowissenschaften aus verschiedenen Zeiten handelt: Teildisziplinen, elektrische Phänomene, elektrotechnische Verfahren und Messmethoden, Formel- und Einheitenzeichen (wie e, µ, k oder Ω), physikalische Maßeinheiten und Materialien. Neben vielen Fachwörtern im engeren Sinne sind auch zahlreiche alte Bekannte verzeichnet, die auch im Alltag eine nicht unbedeutende Rolle spielen: Von Ampere über Dezibel, Grad Celsius, Kupfer, Laser, Magnet und Ohm bis hin zu Röntgen, Telefon, Transformator und Watt. (Allerdings könnte man fragen, warum Bezeichnungen wie Technische Hochschule und Technische Universität oder etwa Kunststoff Aufnahme fanden, der Faradaykäfig hingegen nicht – aber kein Wörterbuch bleibt ohne solche Diskussionen.) Jeder Artikel beginnt damit, dass zunächst die englische Entsprechung angegeben wird. Es folgt eine Definition oder Begriffs(er)klärung. Daran schließen sich wortgeschichtliche Erläuterungen an, in denen das jeweilige Nominationsmotiv historisch begründet und ggf. die Diskussion, die zur Durchsetzung der betreffenden Benennung führte, kurz nachgezeichnet wird. In einem weiteren Schritt wird die Wortbenutzung durch Belege vor allem aus der Fachliteratur demonstriert. Ein Abschnitt Wortfamilien dokumentiert die wichtigsten Zusammensetzungen und Ableitungen, in denen das Wort als Komponente erscheint. Sodann werden Entsprechungen in den wichtigsten anderen Sprachen zusammengestellt; ggf. wird auf verwandte Stichwörter verwiesen. Den Abschluss jedes Artikels bildet die Angabe der herangezogenen Literatur. Als Anhänge sind dem HWEIE eine vollständige Bibliographie, ein Verzeichnis der im Text erwähnten Wortschöpfer bzw. frühen Wortbenutzer, in dem deren wichtigste Lebensdaten genannt werden, und eine Zeittafel, in der die Entstehungszeit bzw. frühe Benutzung der erfassten Stichwörter übersichtlich dokumentiert ist, beigegeben.

Dass die Einhaltung der beschriebenen Konzeption höchste Sachkenntnis verlangt und umfangreiche Recherchearbeit voraussetzt, versteht sich von selbst. Das Warner’sche Wörterbuch ist aber nicht nur informativ, sondern auch ein ausgesprochen benutzerfreundliches Nachschlagewerk: Das zeigt sich schon darin, dass an seinen Anfang nicht nur Benutzungshinweise, sondern auch ein alphabetisches Verzeichnis der aufgenommenen Stichwörter gestellt wurde, das eine Überprüfung der Aufnahme schon vor dem eigentlichen Nachschlagen ermöglicht. Auch das gelegentliche Einfügen von (konkurrierende Maßeinheiten oder Begriffe) illustrierenden Tabellen ist eine gute Verständnishilfe. Vor allem aber sind die Wörterbuchartikel durchweg narrative, d. h. in vollständigen Sätzen ausformulierte Lesetexte, in denen es dem Autor gelingt, auch schwierigste ingenieurwissenschaftliche Zusammenhänge so auszudrücken, dass sie für den Laien (einschließlich des Rezensenten) verständlich sind.

Das HWEIE ist nicht nur deswegen ein historisches, weil Entstehung und Entwicklung der enthaltenen Begriffe erläutert werden, sondern auch weil es viele Termini enthält, die inzwischen selber historisch sind und heute zumeist nur noch das Ringen der Elektrowissenschaften um die geeignetste Terminologie dokumentieren. Am eindrucksvollsten ist dies bei den Stichwörtern, die Strom bezeichnen. Neben dem am Ende erfolgreichen Elektrizität hatte es in Deutschland zahlreiche Versuche der Verdeutschung gegeben: Bern, Bernkraft, Blitzkraft, Glitz u. a., die schon seit langem der Vergessenheit angehören. Ein dem Rezensenten nahestehendes Beispiel ist der Begriff Guerikismus, der im Wörterbuch als »ehemals vorgeschlagene Ersatzbenennung für Reibungselektrizität« erklärt wird. Des Weiteren erfährt der Leser, dass der Begriff 1891 vom österreichischen Physiker Ludwig Boltzmann in Anlehnung an Galvanismus geprägt und in seinen »Vorlesungen über Maxwells Theorie der Elektricität und des Lichtes« eingeführt wurde. Die entsprechende Stelle wird zitiert. Im Artikel-Abschnitt »Zur Person« werden schließlich die wichtigsten Lebensdaten des Magdeburger Physikers und Festungsbauingenieurs Otto von Guericke, auf den sich die Benennung ehrend bezieht, beschrieben, bevor schließlich weiterführende Literatur zu Guericke angegeben wird.

Natürlich ist das HWEIE in erster Linie ein hervorragend recherchierter Nachschlagetext. Zugleich sind seine Artikel leserfreundlich geschrieben und enthalten spannende Informationen über einen Bereich, in dem sich nur Wenige wirklich auskennen. Und selbst denen werden noch sprach- und realhistorische Informationen vermittelt, die sie vorher vermutlich nicht kannten. Wer zu lesen beginnt, hat schnell Schwierigkeiten aufzuhören, wird weiter nachschlagen und immer weiterlesen. Die Verlockung liegt schon in seiner Zielsetzung begründet: der sprach- und sachhistorischen Erläuterung von (selbst immer wieder historischem) Fachwortschatz. Keine Frage, dass ein solches Wörterbuch allen, die sich für die drei im Titel genannten Disziplinen, deren Fachsprache(n) und für Wortgeschichte ganz allgemein interessieren, wärmstens zu empfehlen ist. Und – Hallo, Duden! Hallo, Wahrig und andere Wörterbuchredaktionen! – das HWEIE ist auch für Lexikographen und Lexikologen ein sine qua non, weil es einen Sektor des Wortschatzes historisch-semantisch aufbereitet, in dem sich Linguisten normalerweise nicht allzu gut auskennen.

Armin Burkhardt, Magdeburg