Konjugation von raten

[F] Das Verb raten wird in der 2. und 3. Person Singular doch wohl stark gebeugt, also rätst – rät. In einer Zeitungsüberschrift lese ich nämlich heute: »Der Ministerpräsident ratet« – gemeint ist, dass er rätselt, ein Rätsel zu lösen hat.

Bei dieser Gelegenheit: Ich wüsste auch gern, wie man das Verb backen konjugiert: backst – backt oder bäckst – bäckt. Vielleicht spielt mein Heimatdialekt, ich komme aus Augsburg, eine Rolle.

[A] Sie haben recht, die Gegenwartsformen von raten in der 2. und 3. Person Singular werden mit Umlaut gebildet: du rätst, er/sie/es rät – so jedenfalls in der Standardsprache. In manchen Dialekten sieht es gewiss anders aus, was ja bei vielen anderen Verben oder auch bei der Deklination von Substantiven zu beobachten ist. Die Formen mit Umlaut sind bei raten seit dem Mittelhochdeutschen belegt, doch hie und da zeigten sich auch nicht umgelautete, ratest, ratet – vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 8, 1893; dort auch in der Erläuterung zu Rater: »der da ratet«!

In einer großen digitalen Textsammlung fand ich einen Beleg für diese Nebenvariante: »Die Welt ist ein Rätsel,/Man ratet es nicht./Und will man‘s erraten,/ Das Herz einem bricht.« Diese hübschen Zeilen der »Schlesischen Nachtigall« Friederike Kempner (Gedichte, 1903) sind aber wohl weder inhaltlich noch grammatisch als Muster anzusehen. Ob der Redaktion der von Ihnen erwähnten Zeitung ein Lapsus unterlaufen ist oder ob sie mit ratet einen Bedeutungsunterschied zu rät markieren wollte? Denn »Der Ministerpräsident rät« ließe ja spontan daran denken, dass er einen Rat erteilen möchte, dass er zu etwas rät. Aber man hätte es ja leicht anders formulieren können, z. B. »Der Ministerpräsident rätselt« oder »Der Ministerpräsident löst Rätsel«.

Bei backen stellt es sich anders dar. Hier stehen heute beide Formen als Varianten nebeneinander: bäckst – bäckt und (wie es scheint, zunehmend und mehrheitlich) backst – backt. So stellen es auch die Grammatiken und Wörterbücher zur Gegenwartssprache dar. Daniel Sanders vermerkt in seinem Wörterbuch der Hauptschwieirigkeiten der deutschen Sprache (Auflage aus dem Jahr 1908): »im Präsens bäckst, bäckt«, die Form du backst sei »nicht zu empfehlen«. Der Trend zu backst, backt war offenbar trotz sprachpflegerischen Tadels nicht zu stoppen.

Das Verb backen wurde traditionell ja auch stark und unregelmäßig flektiert: backen – buk – gebacken, auch hier ist die Entwicklung längst zu backte fortgeschritten (vgl. fragen – frug/fragte); die starken Formen sind veraltet. In der Literatur lassen sich buk und frug noch bis circa 1900 beobachten; backte findet sich vorher etwa in Grimms Märchen und anderen volkstümlichen Texten und drang vor allem aus dem oberdeutschen (süddeutschen) Raum in die Standardsprache ein. Die Flexion verläuft in den Dialekten generell oft anders. Für Ihre Region – Augsburg gehört ja zu Bayerisch-Schwaben – seien wenigstens zwei Beispiele gegeben: In Bayern heißt es mundartlich z. B. auch tragst statt trägst, fangst statt fängst, andererseits i nimm statt ich nehme, und im Schwäbischen fehlt oft der in der Standardsprache anzutreffende Umlaut, so neben backen (nicht immer) bei blasen, fahren, graben usw.