Ausgabe: Der Sprachdienst 2/2015

Twitteratur in der Twittritik

© Groenning - Fotolia

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Dass nicht nur das digitale Zeitalter, sondern insbesondere auch die »neuesten neuen Medien«, nämlich soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Instagram und Ähnliches, mit ihrem Erscheinen und ihrer Verbreitung auch ihren ganz eigenen Wortschatz mitbringen, ist bekannt. Schon vor Jahren haben wir uns mehr oder weniger damit abgefunden, dass man im Internet nach Informationen googelt, Nachrichten an die Freunde simst oder weiteren Personenkreisen twittert und ganz allgemein einen Wortschatz verwendet, der auf den dort üblichen Aktionen beruht – oftmals, aber nicht immer unter Einfluss des Englischen.

Seit einiger Zeit folgt die Sprache in diesem Bereich nun einer Mode, die vermutlich auch im englischen Sprachraum ihren Ursprung hat: die Bildung von Kontaminationen bzw. Kofferwörtern (vgl. hierzu auch das Zeit-Wort »Grexit« im Sprachdienst 1/2015). Dabei handelt es sich um Verschmelzungen verschiedener Wörter, die eine enge Verbindung zueinander aufweisen, zu einem einzigen neuen Wort. Besonders zwei Phänomene der digitalen Welt haben kürzlich zur Bildung solcher Kontaminationen geführt: die Twitteratur und die Twittritik. Wie unschwer zu erkennen ist, basieren beide Wörter auf dem Namen des Mitteilungsdienstes Twitter: Hier können im Umfang von nur 140 Zeichen Kurzmitteilungen ins Netz gestellt werden, die dann von den Followern, also den Abonnenten dieser Nachrichten, empfangen werden. Bei dem neu gebildeten Wort Twitteratur handelt es sich um eine Verschmelzung aus dem Namen Twitter und dem Wort Literatur: Die Twitteratur ist also eine neue Art der Literatur in 140 Zeichen – auf Twitter wurden schon Gedichte, Kurz- bzw. Kürzestgeschichten und Fortsetzungsromane veröffentlicht.

Mitunter muten die kontaminierten Kreationen jedoch etwas sperrig an, so etwa die Twittritik, eine Verschmelzung aus Twitter und Kritik. Bezeichnet werden hiermit Diskussionen und Meinungsäußerungen der Nutzer zu verschiedenen Themen – aktuell vermehrt als »Live«-Diskussionen zu parallel im Fernsehen ausgestrahlten Sendungen; beliebtes Objekt dieser Twittritik sind derzeit insbesondere Reality- und Casting-Shows. Und selbst die unzähligen Kommentare zum allwöchentlichen »Tatort«, einem Urgestein des deutschen Fernsehens, lassen daran zweifeln, dass die Zuschauer sich mehr für den zu klärenden Mordfall interessieren als für die ausgiebige intermediale Erörterung der Frisur des Kommissars.

Anders als im Deutschen gibt es im Englischen bereits deutlich mehr dieser Kontaminationen mit dem Erstglied Twitt(er) . Darunter sind twitterific (Twitter und terrific ›sagenhaft, unglaublich‹), twitterazzi (Twitter und Paparazzi), twittociate (Twitter und associate ›Partner‹ bzw. ›verbinden, verknüpfen‹) oder tvictim (Twitter und victim ›Opfer‹). So ist wohl zu erwarten, dass ihre Anzahl auch im Deutschen in absehbarer Zeit zunehmen wird.

An der Sprache der digitalen Medien lässt sich ablesen, wie rasant der Wortschatz sich wandelt und erweitert: Wir sammeln sogenannte Freunde in unseren Kontaktlisten bei Facebook etc. – doch dies sind nicht unbedingt Freunde, wie man sie in der analogen Welt bezeichnen würde, sondern auch Menschen, die der bislang geläufigen Bedeutung von Freundschaft nicht nur nicht sehr nahe kommen, sondern ihr unter Umständen sogar diametral entgegenstehen (vgl. dazu das Zeit-Wort im Sprachdienst 5/2011: »Freunde«); wir entfreunden uns von Personen, die wir nicht mehr in unserer Kontaktliste wissen möchten – von einer solchen Möglichkeit wusste man zuvor weder sprachlich noch analog oder digital; wir drücken den Gefällt-mir-Knopf, wenn uns ein ins Netz gestellter Inhalt gefällt, oder wir liken ihn ganz schlicht und einfach (von englisch to like ›mögen‹); wir folgen anderen Nutzern auf Twitter, deren Beiträge wir regelmäßig lesen möchten, wir sind ihre Follower (von englisch to follow ›folgen‹); und wir entfolgen einen Nutzer (oder sogar einem Nutzer – Dativ?), dessen Beiträge wir nicht mehr lesen möchten.

Das digitale Zeitalter treibt sprachliche Blüten, die einem gefallen können oder auch nicht. Nutzer wissen jedoch: Wenn man in den besagten Netzwerken aktiv ist, wird man auch um deren Wortschatz nicht umhinkommen.

Frauke Rüdebusch