Von Alphatieren und Alphamenschen

Es wäre falsch zu behaupten, dass das Altgriechische in heutiger Zeit Hochkonjunktur hätte. Eine »tote« Sprache, bei der sich kein unmittelbarer Nutzwert erschließt, hat es im Bildungssystem eher schwer. Gleichwohl erfreuen sich die Buchstabennamen des griechischen Alphabets einer großen Beliebtheit, man kann unterstellen, auch bei Menschen, die ansonsten dieser Sprache absolut unkundig sind. So wimmelt es in Wirtschaft und Werbung nur so von Omega-3-Fettsäuren, Delta-Airlines, Kappa-Sportkleidung usw.

Der erste Buchstabe des griechischen Alphabets ist das Alpha (α), das zurzeit in besonders großer Zahl anzutreffen ist, und zwar in Fügungen, die ursprünglich in der Verhaltensforschung geprägt wurden. Bei Tieren, die in Sozialverbänden leben, gibt es oft ein »Familienoberhaupt«, und das nennen Biologen ein Alphatier. Das kann ein Alphamännchen, ein Alphaweibchen oder auch ein Alphapaar sein.

Dieser eigentlich naturwissenschaftliche Begriff hat es jedoch in zahlreichen Varianten geschafft, sich außerhalb eines im engeren Sinne biologischen Bereichs zu etablieren. So titelte 2006 Spiegel Online anlässlich der Landtagswahlen in Berlin über ein TV-Duell zwischen Klaus Wowereit und Friedbert Pflüger: »Alphatier gegen Hundeblick«, womit die beiden Politiker in der genannten Reihenfolge gemeint waren. Die Zeit erklärte im Jahr 2005 die Feministin Alice Schwarzer zum »Alphaweibchen«, und mit ebendiesem Wort überschrieb der Berliner Tagesspiegel auch einen Artikel über den diesjährigen Weltfrauentag. In allen genannten Fällen soll das »alpha« eine Überlegenheit in einer bestimmten Gruppe und Dominanz der Person andeuten.

Lediglich bei dem Wort Alphamännchen scheint der Transport nicht ganz reibungslos zu funktionieren. Auch dieses Wort wird durchaus nicht nur auf Tiere, sondern auch auf Menschen bezogen verwendet, aber so gut wie immer mit starker Tendenz, sich über die bezeichnete Person lustig zu machen. Das Lied mit dem Titel »Alphamännchen« der deutschen Popgruppe »Wir sind Helden« ist keineswegs eine Hommage an einen bewundernswert durchsetzungsfähigen Mann, sondern eine ruppige Abrechnung mit einem grauenerregenden Langweiler, der sich selbst jedoch für einen unwiderstehlichen Kerl hält. Das Problem ist hier eindeutig die Verkleinerungsform. Einen Mann, von dem man ernsthaft aussagen wollte, er sei stark und durchsetzungsfähig, kann man offenbar nicht Männchen nennen, nicht einmal in Kombination mit alpha.

Bei Frauen scheint das nicht gleichermaßen problematisch, betrachtet man die Alphaweibchen oder eine ganz neue Spezies, die der Spiegel in diesem Sommer kreiert hat, nämlich die Alphamädchen, angeblich eine ganze Frauengeneration, die »die Männer überholt«. Vorgestellt werden einige Vertreterinnen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren, und vielleicht darf leise bezweifelt werden, dass z. B. eine 27-jährige Universitätsprofessorin sich selbst als Mädchen bezeichnen würde; dass sie viele Männer (und viele Frauen) mit dieser Karriere überholt hat, dürfte hingegen unstrittig sein. In jedem Fall zeigt die Wortschöpfung Alphamädchen, dass sich das Alpha im Deutschen einer hohen Vitalität erfreut, ein kleines Stück Altgriechisch im sprachlichen Alltag.

Nicola Frank