2. Oktober 2024

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) und die Vergabe von Vornamen (aktuelle Version)

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Dieser Text wurde am 2. Oktober 2024 überarbeitet. Zur älteren, nicht mehr aktuellen Fassung gelangen Sie hier.

Am 1. November 2024 soll das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft treten.[1] Dieses soll es allen Personen erleichtern, ihren Geschlechtseintrag zu ändern, die ihre geschlechtliche Identität nicht im binären System »männlich«/»weiblich« verorten oder deren soziales Geschlecht nicht ihrem Geburtsgeschlecht entspricht. Eine solche Änderung des Geschlechtseintrags wird dann ohne größeren bürokratischen Aufwand und vor allem ohne ärztliche oder gar psychologische Gutachten möglich sein.

Mit der Änderung des Geschlechtseintrags geht in den meisten Fällen auch eine Änderung des Vornamens einher. Und dies ist der Punkt, der bisher nicht nur bei den betroffenen Personen, sondern auch bei den Standesämtern und der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) für Kopfzerbrechen sorgte, denn die Formulierung im mittlerweile beschlossenen Gesetzentwurf in Bezug auf die Vornamenwahl ist äußerst vage und wurde somit von den Standesämtern eher zu streng als zu liberal ausgelegt. Dies führte zu zahlreichen Anfragen bei der GfdS durch betroffene Personen, deren Vornamenwunsch vom Standesamt nicht akzeptiert wurde. Im Folgenden legen wir die Problematik und den inzwischen eingeschlagenen Lösungsweg dar.

Vornamenvergabe an Neugeborene

Schon die Vornamenvergabe an neugeborene Jungen und Mädchen (mit dem Geschlechtseintrag »divers« werden nur sehr wenige Kinder beurkundet) wirft nicht selten Fragen auf: Gibt es den gewünschten Namen überhaupt? Ist er für das Kind unbedenklich? Lässt er sich dem Geschlecht des Kindes zuordnen? Dies kann die GfdS in vielen Fällen durch ein Gutachten klären. Über die vergangenen Jahre sind die Gepflogenheiten der Vornamenvergabe zudem ein wenig liberaler geworden. Grundsätzlich gilt hier:

  • Vornamen dürfen die namenstragende Person nicht der Lächerlichkeit preisgeben.
  • Die einzutragenden Vornamen sollen dem Wesen nach Vornamen sein; dann dürfen sogar erfundene Namen gewählt werden.
  • Mädchen dürfen Mädchennamen oder geschlechtsneutrale Namen tragen, ggf. ergänzt durch einen weiteren, rein weiblichen Namen.
  • Jungen dürfen Jungennamen oder geschlechtsneutrale Namen tragen, ggf. ergänzt durch einen weiteren, rein männlichen Namen.

Vornamenänderung nach dem SBGG

Zwar sollten Personen, die die Entscheidung für einen Vornamen für sich selbst treffen, um die Implikationen wissen, die ein Name mit sich bringen kann. Dennoch sind die Grundsätze, die bei der Namengebung an Neugeborene gelten, auch bei erwachsenen Personen einzuhalten, die ihren Vornamen zusammen mit dem Geschlechtseintrag ändern.

Das SBGG bleibt in der aktuellen Fassung im Hinblick auf die Vornamenwahl jedoch sehr vage. Dort heißt es wörtlich: »Mit der Erklärung […] sind die Vornamen zu bestimmen, die die Person zukünftig führen will und die dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen.« (§ 2 Abs. 2 Satz 3)

Diese Formulierung wurde bisher von den Standesämtern überwiegend recht streng ausgelegt:

  • Personen mit dem Geschlechtseintrag »männlich« sollten nur männliche Namen tragen.
  • Personen mit dem Geschlechtseintrag »weiblich« sollten nur weibliche Namen tragen.
  • Personen mit dem Geschlechtseintrag »divers« oder ohne Geschlechtseintrag sollten nur geschlechtsneutrale bzw. Unisex-Namen tragen.

Nach aktuellem Stand darf dabei die Anzahl der Vornamen verändert werden. Es sind allerdings nur bis zu fünf Vornamen zulässig.

Problematik der Auslegung des SBGG durch die Standesämter

Nach dieser Auslegung galten unterschiedliche Grundsätze bei der Namenwahl für Kinder und für Personen, die ihren Geschlechtseintrag und damit ihren Vornamen ändern – und jene für letztere Personengruppe sind deutlich strenger. Doch bei der Eintragung von Vornamen sollten rechtlich stets die gleichen Grundsätze gelten, unabhängig davon, für wen sie vorgenommen wird – sowohl im Hinblick auf die Grenzen als auch auf die Möglichkeiten der Vornamenwahl.

So haben die o. g. Kriterien – dass ein Vorname der namenstragenden Person nicht schaden und er dem Wesen nach ein Vorname sein sollte – aus unserer Sicht nicht nur für Kinder, sondern auch für Menschen zu gelten, die sich selbst einen Namen aussuchen. Gleichermaßen sollten die Freiheiten, die Eltern bei der Namenwahl für ihre Kinder haben, auch bei einer Änderung des Geschlechtseintrags und damit einhergehend des Vornamens gelten.

Nach bisheriger Auslegung des SBGG durften jedoch Personen mit dem gewählten Geschlechtseintrag »männlich« nur männliche Namen tragen, keine geschlechtsneutralen – männliche Neugeborene hingegen schon. Personen mit dem gewählten Geschlechtseintrag »weiblich« durften nur weibliche Namen tragen, keine geschlechtsneutralen – weibliche Neugeborene hingegen schon. Untersagt sind nach heutiger Rechtsprechung jedoch stets geschlechtswidrige Namen (also Jungennamen für Mädchen und Mädchennamen für Jungen).[2]

Umgekehrt durften Personen, die sich als »divers« oder mit keiner sozialen Geschlechterkategorie identifizieren, nur Namen tragen, die neutral bzw. unisex sind, also allen Geschlechtern gleichermaßen oder keinem Geschlecht spezifisch zugeschrieben werden können. Dies mag logisch erscheinen, sofern die beiden neuen Kategorien als »dazwischen« oder sogar als »weder/noch« (männlich und/oder weiblich) beurteilt werden. Doch die Definition von divers und neutral/unisex ist nicht deckungsgleich, und auch dies sollte bei der Namenwahl Berücksichtigung finden können.

Warum divers nicht gleichbedeutend mit geschlechtsneutral ist

Die Konzepte »geschlechtsneutral« und »divers« stellen sich im Hinblick auf die Geschlechtsidentität im rechtlichen und im sozialen Kontext völlig unterschiedlich dar. So sind als »geschlechtsneutral« ausgewiesene Namen definitionsgemäß jene Namen, die sowohl für Jungen als auch für Mädchen vergeben werden können. Sie lassen keine spezifische Zuordnung zum männlichen oder zum weiblichen Geschlecht zu und können von Menschen aller Geschlechter getragen werden. Dies schließt Menschen ein, die sich als »männlich« oder »weiblich« definieren, aber ebenso Menschen, die sich nicht dem binären oder überhaupt dem Geschlechtersystem zugehörig fühlen. Mit einem geschlechtsneutralen Namen kann die Geschlechtsidentität offengelassen werden und Unterscheidungen aufgrund des Geschlechts können oder sollen vermindert oder sogar vermieden werden.

Die Kategorie »divers« hingegen wurde für Menschen eingeführt, die sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Anders als bei geschlechtsneutralen Namen wird hiermit keine Neutralität oder gar Abwesenheit von Geschlecht ausgedrückt; im Gegenteil, hierunter fällt eine Fülle an unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten – diese sind im wahrsten Sinne des Wortes »divers«, vielfältig.

So sind die Ausdrücke geschlechtsneutral und divers nicht deckungsgleich: Ersterer strebt nach Neutralität zwischen allen Geschlechtern, während Zweiterer anerkennt, dass es andere Geschlechtsidentitäten neben den binären gibt.

Was die GfdS daraus ableitet

Dieser Argumentation folgend sind aus unserer Sicht geschlechtsneutrale Namen zwar geeignet, um von Menschen getragen zu werden, die sich als »divers« identifizieren. Doch ihnen sollte es ebenso möglich sein, rein männliche oder rein weibliche Namen zu tragen – Namen, mit denen sie sich in ihrer eigenen Geschlechtswahrnehmung identifizieren können und die ihre individuelle Geschlechtsidentität ausdrücken (die sich mitunter wieder ändern kann).

Wer sich hingegen entscheidet, den Geschlechtseintrag streichen zu lassen, identifiziert sich oft – aber nicht immer! – nicht über die soziale Kategorie »Geschlecht«, fühlt sich also weder dem männlichen noch dem weiblichen oder einer der unzähligen »diversen« Zuschreibungen von Geschlecht zugehörig. Für diese Menschen sind neutrale Namen in der Tat gut geeignet, doch auch sie sollten im Sinne der Selbstbestimmung die Möglichkeit haben, einen rein männlichen oder weiblichen Namen zu wählen, wenn sie sich damit identifizieren.

Geänderter Umgang mit dem Wortlaut des Gesetzes

Ende September 2024 wurde die Auslegung des Gesetzestextes im Hinblick auf die Vornamenwahl durch ein Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern neu eingeordnet. Ab sofort gilt nicht mehr, was bisher streng gehandhabt wurde: dass männliche Personen nur männliche, weibliche Personen nur weibliche und Personen mit dem Geschlechtseintrag »divers« bzw. ohne Geschlechtseintrag nur »neutrale« bzw. für alle Geschlechter geeignete Namen wählen dürfen (s. o.). Stattdessen wird die Eintragung nun so gehandhabt, wie dies bei Neugeborenen der Fall ist, sprich:

  • Personen, die den Geschlechtseintrag »männlich« wählen, können sich männlicher Vornamen oder Vornamen, die beiden Geschlechter zugeordnet werden können, bedienen; diese können auch miteinander kombiniert werden;
  • Personen, die den Geschlechtseintrag »weiblich« wählen, können sich weiblicher Vornamen oder solcher, die beiden Geschlechtern zugeordnet werden können, bedienen; diese können auch miteinander kombiniert werden;
  • Personen, die den Geschlechtseintrag »divers« wählen oder den Geschlechtseintrag streichen lassen, haben die freie Auswahl: Sie können Namen wählen, die dem männlichen, dem weiblichen Geschlecht oder beiden Geschlechtern gleichermaßen zugeordnet werden. Ebenso können sie diese Namen miteinander kombinieren. So kann auch ein rein männlicher Name mit einem rein weiblichen Namen verbunden werden.

Nicht möglich ist es wie bisher, einen eindeutig männlichen Vornamen zum Geschlechtseintrag »weiblich« oder einen eindeutig weiblichen Vornamen zum Geschlechtseintrag »männlich« zu wählen.


[1] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/gesetz-ueber-die-selbstbestimmung-in-bezug-auf-den-geschlechtseintrag-sbgg–224546

[2] Die einzige Ausnahme stellt der Name Maria (ebenso dessen Variante Marie) dar: Dieser darf als weiblicher Beivorname für Jungen vergeben werden – allerdings nicht an erster Stelle! Dies hat religiös-historische Gründe. So ist Maria denn keinesfalls ein geschlechtsneutraler Name, sondern in der Tat der einzige rein weibliche Name, der auch für Jungen gewählt werden darf.