Ausgabe: Der Sprachdienst 6/2022

Schriftgeschichte

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[F] Verglichen mit der Menschheitsgeschichte ist die Entwicklung unserer Schrift noch relativ jung. Aber wie genau ist unsere heutige Schrift eigentlich entstanden?

[A] Deutsch wird mit lateinischem Alphabet geschrieben, in dessen Bezeichnung wiederum die griechischen Buchstaben Alpha und Beta mitschwingen. Bereits in dieser Feststellung lässt sich eine gehörige Portion Schriftgeschichte ablesen. Doch beginnen wir am Anfang.

Die deutsche Sprache wird mit einer Buchstabenschrift wiedergegeben. Die Zeichen zeigen also keine Silben oder Wörter an, wie dies etwa bei japanischen oder chinesischen Schriftzeichen der Fall ist, sondern Laute. Viele vergessen, dass sich die deutsche Schrift jedoch nicht in 26 Buchstaben (Grapheme) erschöpft, sondern auch aus drei Umlauten, verschiedenen Graphemkombinationen wie ⟨sch⟩ oder ⟨ch⟩ oder Buchstaben mit diakritischen Zeichen (Sonderzeichen wie Akzente) in Fremdwörtern besteht, und das alles noch in Groß- und Kleinschreibung. Das Eszett ist sogar eine ausschließliche Besonderheit des Deutschen. (Lesen Sie hier mehr zu diesem Buchstaben.)

Größtenteils deckt sich das deutsche Alphabet jedoch mit dem Lateinischen, das aber nur 23 Großbuchstaben (Majuskeln) kennt. Diese Form der Schrift kam um 600 v. Chr. im heutigen Mittelitalien über die Etrusker, eine antike Volksgruppe, zu den Latinern. Das lateinische geht wie auch das kyrillische auf das griechische Alphabet zurück, das auch durch das Eteokretische (eine ausgestorbene Sprache auf Kreta) beeinflusst wurde. Dieses eteokretisch-griechische Alphabet war eine lautlich veränderte und mit weiteren Zeichen angereicherte Form der phönizischen Schrift, die ursprünglich nur 22 Konsonanten kannte und nicht von links nach rechts, sondern von rechts nach links geschrieben wurde. Die phönizischen Gebiete liegen im heutigen Libanon, in Syrien, Israel und Palästina. Durch Handel und Seefahrt verbreitete sich die phönizische Schrift ab 1000 v. Chr. im gesamten Mittelmeerraum. Mit ihr sind zahllose weitere Buchstabenschriften verwandt, z. B. indische oder semitische Schriften wie Arabisch und Hebräisch. Letztere sind im Übrigen immer noch Konsonantenschriften und folgen der alten Schreibrichtung (vgl. Typolexikon 2019, Alphabet, https://www.typolexikon.de/ alphabet/).

Vermutlich hat sich die phönizische Schrift aus einer protosinaitischen Schrift entwickelt, die 1700 v. Chr. benutzt wurde, um die ägyptischen Hieroglyphen an semitische Sprachen anzupassen. Die Hieroglyphen sind neben der sumerischen Keilschrift aus Mesopotamien das älteste bekannte Schriftsystem. Ihr Ursprung liegt in beschreibenden Bildern, die schließlich abstrahiert wurden und in ihrer späteren Form ebenfalls Lautzeichen beinhalteten.

Wie an dieser Geschichte zu sehen ist, haben sich verschiedene Kulturen in gegenseitigem Kontakt bereichert und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten weitergetragen. Die lateinische Schrift ist heute (auch durch imperialistische Politik seit der Römerzeit) am weitesten verbreitet und bildet die Grundlage unzähliger Alphabete (vgl. Markus Wäger, Grafik und Gestaltung, Bonn 2016). Andere Alphabetschriften ohne Basisschrift sind beispielsweise die irische Ogham-Schrift oder das koreanische Hangul-Alphabet (vgl. Harald Haarmann, Entstehung und Verbreitung von Alphabetschriften, in: Hartmut Günther und Otto Ludwig (Hgg.): Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, Berlin 1994, S. 329–347).