29. August 2024

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) und die Vergabe von Vornamen

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Am 1. November 2024 soll das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft treten.[1] Dieses soll es allen Personen erleichtern, ihren Geschlechtseintrag zu ändern, die ihre geschlechtliche Identität nicht im binären System »männlich«/»weiblich« verorten oder deren soziales Geschlecht nicht ihrem Geburtsgeschlecht entspricht. Eine solche Änderung des Geschlechtseintrags wird dann ohne größeren bürokratischen Aufwand und vor allem ohne ärztliche oder gar psychologische Gutachten möglich sein.

Mit der Änderung des Geschlechtseintrags geht in den meisten Fällen auch eine Änderung des Vornamens einher. Und dies ist der Punkt, der momentan nicht nur bei den betroffenen Personen, sondern auch bei den Standesämtern und der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) für Kopfzerbrechen sorgt, denn die Formulierung im mittlerweile beschlossenen Gesetzentwurf in Bezug auf die Vornamenwahl ist äußerst vage und wird somit von den Standesämtern eher zu streng als zu liberal ausgelegt.[2] Dies führt derzeit zu zahlreichen Anfragen bei der GfdS durch betroffene Personen, deren Vornamenwunsch vom Standesamt nicht akzeptiert wird. Im Folgenden legen wir die Problematik und unseren eigenen Umgang damit dar.

Vornamenvergabe an Neugeborene

Schon die Vornamenvergabe an neugeborene Jungen und Mädchen (mit dem Geschlechtseintrag »divers« werden nur sehr wenige Kinder beurkundet) wirft nicht selten Fragen auf: Gibt es den gewünschten Namen überhaupt? Ist er für das Kind unbedenklich? Lässt er sich dem Geschlecht des Kindes zuordnen? Dies kann die GfdS in vielen Fällen durch ein Gutachten klären. Über die vergangenen Jahre sind die Gepflogenheiten der Vornamenvergabe zudem ein wenig liberaler geworden. Grundsätzlich gilt hier:

  • Vornamen dürfen die namenstragende Person nicht der Lächerlichkeit preisgeben.
  • Die einzutragenden Vornamen sollen dem Wesen nach Vornamen sein; dann dürfen sogar erfundene Namen gewählt werden.
  • Mädchen dürfen Mädchennamen oder geschlechtsneutrale Namen tragen, ggf. ergänzt durch einen weiteren, rein weiblichen Namen.
  • Jungen dürfen Jungennamen oder geschlechtsneutrale Namen tragen, ggf. ergänzt durch einen weiteren, rein männlichen Namen.

Vornamenänderung nach dem SBGG

Zwar sollten Personen, die die Entscheidung für einen Vornamen für sich selbst treffen, um die Implikationen wissen, die ein Name mit sich bringen kann. Dennoch sind die Grundsätze, die bei der Namengebung an Neugeborene gelten, auch bei erwachsenen Personen einzuhalten, die ihren Vornamen zusammen mit dem Geschlechtseintrag ändern.

Das SBGG bleibt in der aktuellen Fassung im Hinblick auf die Vornamenwahl jedoch sehr vage. Dort heißt es wörtlich: »Mit der Erklärung […] sind die Vornamen zu bestimmen, die die Person zukünftig führen will und die dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen.« (§ 2 Abs. 2 Satz 3)

Diese Formulierung wird aktuell von den Standesämtern überwiegend recht streng ausgelegt:

  • Personen mit dem Geschlechtseintrag »männlich« dürfen nur männliche Namen tragen.
  • Personen mit dem Geschlechtseintrag »weiblich« dürfen nur weibliche Namen tragen.
  • Personen mit dem Geschlechtseintrag »divers« oder ohne Geschlechtseintrag dürfen nur geschlechtsneutrale bzw. Unisex-Namen tragen.

Die Anzahl der Vornamen soll sich dabei jedoch nicht ändern, d. h. stand zuvor nur ein Name in der Geburtsurkunde, darf auch nach der Änderung des Geschlechtseintrags nur ein Name in der Geburtsurkunde stehen. Waren es zuvor zwei (drei, vier, …) Namen, dürfen es auch nach der Änderung des Geschlechtseintrags nur zwei (drei, vier, …) Namen sein, nicht mehr und nicht weniger.

Problematik der Auslegung des SBGG durch die Standesämter

Nach dieser Auslegung gelten aktuell unterschiedliche Grundsätze bei der Namenwahl für Kinder und für Personen, die ihren Geschlechtseintrag und damit ihren Vornamen ändern – und jene für letztere Personengruppe sind deutlich strenger. Doch bei der Eintragung von Vornamen sollten rechtlich stets die gleichen Grundsätze gelten, unabhängig davon, für wen sie vorgenommen wird – sowohl im Hinblick auf die Grenzen als auch auf die Möglichkeiten der Vornamenwahl.

So haben die o. g. Kriterien – dass ein Vorname der namenstragenden Person nicht schaden und er dem Wesen nach ein Vorname sein sollte – aus unserer Sicht nicht nur für Kinder, sondern auch für Menschen zu gelten, die sich selbst einen Namen aussuchen. Gleichermaßen sollten die Freiheiten, die Eltern bei der Namenwahl für ihre Kinder haben, auch bei einer Änderung des Geschlechtseintrags und damit einhergehend des Vornamens gelten.

Nach aktueller Auslegung des SBGG dürfen jedoch Personen mit dem gewählten Geschlechtseintrag »männlich« nur männliche Namen tragen, keine geschlechtsneutralen – männliche Neugeborene hingegen schon. Personen mit dem gewählten Geschlechtseintrag »weiblich« dürfen aktuell nur weibliche Namen tragen, keine geschlechtsneutralen – weibliche Neugeborene hingegen schon. Untersagt sind nach heutiger Rechtsprechung jedoch stets geschlechtswidrige Namen (also Jungennamen für Mädchen und Mädchennamen für Jungen).[3]

Umgekehrt dürfen Personen, die sich als »divers« oder mit keiner sozialen Geschlechterkategorie identifizieren, nur Namen tragen, die neutral bzw. unisex sind, also allen Geschlechtern gleichermaßen oder keinem Geschlecht spezifisch zugeschrieben werden können. Dies mag logisch erscheinen, sofern die beiden neuen Kategorien als »dazwischen« oder sogar als »weder/noch« (männlich und/oder weiblich) beurteilt werden. Doch die Definition von divers und neutral/unisex ist nicht deckungsgleich, und auch dies sollte bei der Namenwahl Berücksichtigung finden können.

Warum divers nicht gleichbedeutend mit geschlechtsneutral ist

Die Konzepte »geschlechtsneutral« und »divers« stellen sich im Hinblick auf die Geschlechtsidentität im rechtlichen und im sozialen Kontext völlig unterschiedlich dar. So sind als »geschlechtsneutral« ausgewiesene Namen definitionsgemäß jene Namen, die sowohl für Jungen als auch für Mädchen vergeben werden können. Sie lassen keine spezifische Zuordnung zum männlichen oder zum weiblichen Geschlecht zu und können von Menschen aller Geschlechter getragen werden. Dies schließt Menschen ein, die sich als »männlich« oder »weiblich« definieren, aber ebenso Menschen, die sich nicht dem binären oder überhaupt dem Geschlechtersystem zugehörig fühlen. Mit einem geschlechtsneutralen Namen kann die Geschlechtsidentität offengelassen werden und Unterscheidungen aufgrund des Geschlechts können oder sollen vermindert oder sogar vermieden werden.

Die Kategorie »divers« hingegen wurde für Menschen eingeführt, die sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Anders als bei geschlechtsneutralen Namen wird hiermit keine Neutralität oder gar Abwesenheit von Geschlecht ausgedrückt; im Gegenteil, hierunter fällt eine Fülle an unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten – diese sind im wahrsten Sinne des Wortes »divers«, vielfältig.

So sind die Ausdrücke geschlechtsneutral und divers nicht deckungsgleich: Ersterer strebt nach Neutralität zwischen allen Geschlechtern, während Zweiterer anerkennt, dass es andere Geschlechtsidentitäten neben den binären gibt.

Was die GfdS daraus ableitet

Dieser Argumentation folgend sind aus unserer Sicht geschlechtsneutrale Namen zwar geeignet, um von Menschen getragen zu werden, die sich als »divers« identifizieren. Doch ihnen sollte es ebenso möglich sein, rein männliche oder rein weibliche Namen zu tragen – Namen, mit denen sie sich in ihrer eigenen Geschlechtswahrnehmung identifizieren können und der ihre individuelle Geschlechtsidentität ausdrückt (die sich mitunter sogar von Tag zu Tag ändern kann).

Wer sich hingegen entscheidet, den Geschlechtseintrag streichen zu lassen, identifiziert sich oft –aber nicht immer! – nicht über die soziale Kategorie »Geschlecht«, fühlt sich also weder dem männlichen noch dem weiblichen oder einer der unzähligen »diversen« Zuschreibungen von Geschlecht zugehörig. Für diese Menschen sind neutrale Namen in der Tat gut geeignet, doch auch sie sollten im Sinne der Selbstbestimmung die Möglichkeit haben, einen rein männlichen oder weiblichen Namen zu wählen, wenn sie sich damit identifizieren.

Was die GfdS für die Namenänderung nach dem SBGG empfiehlt

Wie oben erwähnt plädieren wird dafür, dass die Kriterien, die aktuell für die Vornamenvergabe bei Kindern gelten, auch der Vornamenwahl erwachsener Personen, die ihren Geschlechtseintrag und damit einhergehend ihre(n) Vornamen ändern wollen oder sogar müssen, zugrunde gelegt werden. Dies umfasst sowohl die Grenzen als auch die Möglichkeiten der Vornamenwahl.

Das folgende Bild vermittelt anschaulich, was derzeit für Neugeborene möglich ist und auch bei Änderung des Namens im späteren Leben möglich sein sollte:[4] Man stelle sich einen Karteischrank mit verschiedenen Schubladen vor. In Schublade 1 finden sich alle Mädchennamen, die vergeben werden können, in Schublade 2 alle Jungennamen. Geschlechtsneutrale Namen, die von Mädchen und von Jungen getragen werden können, finden sich in beiden Schubladen. So wie Eltern für ihre Kinder einen Namen aus den entsprechenden Schubladen aussuchen dürfen – für Mädchen einen Mädchennamen oder einen geschlechtsneutralen Namen aus Schublade 1 und für Jungen einen Jungennamen oder einen geschlechtsneutralen Namen aus Schublade 2 –, so sollten sich auch erwachsene Menschen Namen aus diesen Schubladen aussuchen dürfen: Personen mit dem Geschlechtseintrag »weiblich« einen Namen aus Schublade 1, Personen mit dem Geschlechtseintrag »männlich« einen Namen aus Schublade 2. Personen mit dem Geschlechtseintrag »divers« oder ohne Geschlechtseintrag dürfen sich an beiden Schubladen bedienen. 

Somit lassen sich aus unserer Sicht gute Argumente dafür finden, dass für Personen mit dem Geschlechtseintrag »divers« und für Personen ohne Geschlechtseintrag (und nur für diese beide Personengruppen!) Namen erlaubt sein müssten, die entweder mit einem Bindestrich Namen beider Geschlechter vereinen (Martin-Sonja), oder sogar zwei (oder mehr) Namen verschiedenen Geschlechts (Martin Kim, Sonja Kim, Martin Sonja Kim). Es ist unseres Erachtens auch vertretbar, dass sie jeweils nur einen geschlechtsspezifischen Namen tragen.

Wie die GfdS bei der Vornamenberatung mit der neuen Gesetzeslage umgeht

Aufgrund der derzeit begrenzten Möglichkeiten im Hinblick auf die Eintragung neuer Vornamen nach dem SBGG müssen wir leider viele Menschen enttäuschen, die sich mit ihren Vornamenanfragen an uns wenden. Soll der Geschlechtseintrag beispielsweise »männlich« lauten, der gewählte Name ist jedoch geschlechtsneutral und das Standesamt besteht darauf, dass ein männlicher Name einzutragen ist, können wir leider nichts tun, außer zu bestätigen, dass der Wunschname neutral ist – was letztlich nicht weiterhilft. Andersherum können wir nicht bestätigen, dass ein Name geschlechtsneutral ist, wenn wir ihn ausschließlich als männlichen oder weiblichen Namen nachweisen können. Akzeptiert das Standesamt jedoch nur einen geschlechtsneutralen Namen für den Eintrag »divers« oder bei einer Streichung des Geschlechtseintrags, so wird ein Gutachten ebenfalls nicht zum Erfolg führen.

So können wir nur Folgendes tun, wenn wir eine Anfrage bekommen, einen Vornamen im Zuge der Änderung eines Geschlechtseintrags zu begutachten:

  • Wir bestätigen weibliche Namen als rein weiblich und somit als geeignet für den Eintrag »weiblich«.
  • Wir bestätigen männliche Namen als rein männlich und somit als geeignet für den Eintrag »männlich«.
  • Wir bestätigen geschlechtsneutrale Namen als neutral und somit als geeignet für den Eintrag »divers« oder bei Streichung des Geschlechtseintrags.
  • Wir empfehlen aus sprachlicher Sicht die Eintragung geschlechtsneutraler Namen für Personen mit dem Eintrag »männlich« oder »weiblich« – dies hat jedoch unter Umständen keinen Einfluss auf die Beurteilung des Standesamtes.
  • Wir empfehlen aus sprachlicher Sicht die Eintragung rein männlicher oder/und rein weiblicher Namen für Personen mit dem Eintrag »divers« oder ohne Eintrag – dies hat jedoch unter Umständen keinen Einfluss auf die Beurteilung des Standesamtes.
  • Wir weisen darauf hin, dass es bei der Wahl eines geschlechtsneutralen Namens für Personen mit dem Eintrag »männlich« oder »weiblich« hilfreich sein kann, einen weiteren, rein männlichen bzw. rein weiblichen Name mit eintragen zu lassen. Darf die Anzahl der Namen nicht verändert werden, so kann ein zweiter Name mit einem Bindestrich an den ersten angehängt werden.
  • Wir befürworten keine geschlechtswidrigen Namen, also weibliche Namen für Personen mit dem Eintrag »männlich« oder männliche Namen für Personen mit dem Eintrag »weiblich«.

Letztlich bleibt zu hoffen, dass entweder der Wortlaut des Gesetzestextes angepasst wird oder sich die Auslegung desselben durch die Standesämter nach und nach ein wenig abmildert.


[1] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/gesetz-ueber-die-selbstbestimmung-in-bezug-auf-den-geschlechtseintrag-sbgg–224546

[2] Aktueller Stand unserer Informationen: 29. August 2024. Wir schließen nicht aus, dass eine mögliche Änderung der Sachlage uns noch nicht bekannt ist.

[3] Die einzige Ausnahme stellt der Name Maria (ebenso dessen Variante Marie) dar: Dieser darf als weiblicher Beivorname für Jungen vergeben werden – allerdings nicht an erster Stelle! Dies hat religiös-historische Gründe. So ist Maria denn keinesfalls ein geschlechtsneutraler Name, sondern in der Tat der einzige rein weibliche Name, der auch für Jungen gewählt werden darf.

[4] An dieser Stelle herzlichen Dank an das Personenstandswesen des Bundeslands Bremen, das dieses Bild erdacht hat.