Die deutsche Sprache zur Jahrtausendwende
Karin M. Eichhoff-Cyrus und Rudolf Hoberg (Hgg.). Mannheim u. a.: Dudenverlag 2000. 344 Seiten. ISBN 3-411-70601-5 (= Duden. Thema Deutsch, 1). 25 €.
Bearbeitete und gekürzte Version einer Rezension aus der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht. Didaktik und Methodik im Bereich Deutsch als Fremdsprache, Nr. 1/2002.
Mit diesem Band soll die Reihe Thema Deutsch vorgestellt werden, die herausgegeben wird von der Dudenredaktion durch Matthias Wermke und der Gesellschaft für deutsche Sprache durch Rudolf Hoberg und Karin M. Eichhoff-Cyrus. Inzwischen sind außer dem hier zu diskutierenden Band, der die Nummer 1 dieser Reihe darstellt, zwei weiterere Bände herausgekommen (Band 2: Name und Gesellschaft. Soziale und historische Aspekte der Namengebung und Namenentwicklung; Band 3: Deutsch – Englisch – Europäisch). Mit allen Titeln hat die Gesellschaft für deutsche Sprache aktuelle und auch für Laien interessante Themen aufgegriffen. Eine der wichtigen Fragen, die in diesem Werk behandelt werden, ist die, ob der Einfluss des Englischen auf das Deutsche wirklich so groß ist, wie fast radikal zu nennende Gruppen wie der »Verein deutsche Sprache« behaupten. Bedeutet der Einfluss einen Sprachverfall und damit einen Kulturverfall?
Ob die Entwicklung des Deutschen, wie sie sich zur Jahrtausendwende abzeichnet, als negativ oder positiv zu beurteilen ist, wird in fünf großen Blöcken besprochen: 1. Standardsprache und Varietäten, 2. Sprache und Öffentlichkeit, 3. Geschlechtergerechte Sprachverwendung, 4. Deutsch in Ost und West, 5. Sprachkritik und Sprachpflege.
Wichtig ist der wiederholte Hinweis, dass es das subjektive Empfinden der/des Einzelnen über den vermeintlichen und kontinuierlichen Sprachverfall ist, wenn man z. B. die Hauptsatzstellung nach weil häufiger als früher zu hören glaubt. Sprachen haben sich zu allen Zeiten verändert (sonst sprächen wir immer noch »Indoeuropäisch«) und entwickelt, und vermutlich hat es wie heute auch zu allen Zeiten Menschen gegeben, die sich über die eine oder andere Veränderung erregt haben, weil sie sie als Verschlechterung empfunden haben. In den meisten Fällen werden sprachliche Veränderungen durch sprachexterne Veränderungen, Entwicklungen und Notwendigkeiten (eine neue Sache muss mit einem neuen Wort bezeichnet werden!) ausgelöst, und die Sprachgemeinschaft entscheidet durch Gebrauch oder Nichtgebrauch über den Verbleib eines Wortes im Sprachschatz. Derzeit sind eben die Massenmedien führende Worterfindungsmaschinen bzw. sie verbreiten neu erfundene Wörter. Dass keineswegs alle neuen Wörter Unwörter sind, sondern vielfach auch eine Bereicherung des Wortschatzes, wird viel zu selten wahrgenommen.
Aus dem ersten großen Block ist sicher die Diskussion um die Periodisierung unserer derzeitigen Sprache hervorzuheben: Neben die üblichen Periodenbezeichnungen Alt-, Mittel-, Frühneuhoch- und Neuhochdeutsch wird eine weitere Epoche ab etwa 1950 gestellt, für die unterschiedliche Bezeichnungen vorgeschlagen worden sind: Gegenwartssprache/-deutsch, Neuneu-hochdeutsch oder Spätneuhochdeutsch. Der Autor Jochen A. Bär bevorzugt E-Hochdeutsch (Ehd.). E kann stehen für egalitär, engagiert, emanzipiert, elektronisch, europäisch, eben und nicht zuletzt Englisch. Nicht gemeint sei jedoch »Endhochdeutsch«, weil sich alle darüber einig seien, dass Deutsch nicht ausstirbt, es entwickele sich lediglich weiter.
Der zweite Block wird eröffnet mit einem kurzen Beitrag Otto Schilys, in dem er einerseits auf die Verantwortung der Politik gegenüber der Sprache (z. B. Sprachverschleiß durch inflationären Gebrauch von Worthülsen – viel reden und nichts sagen) eingeht, andererseits die Verdienste von Ghostwritern preist.
Marlis Hellinger stellt in ihrem Beitrag, der den dritten Block einleitet, fest, dass die große Variationsbreite im Bereich deutscher Personenbezeichnungen anzeigt, dass sich die Sprache in Richtung geschlechtsinklusiver oder -neutraler Verwendung verändert bzw. entwickelt. Sie betont, dass dies insbesondere ein Ergebnis aktiver Sprachpolitik ist. In dem vorliegenden Beitrag untersucht sie Strategien, die verwendet werden, um den herkömmlichen diskriminierenden Sprachgebrauch zu verteidigen bzw. den geschlechterneutralen zu diskreditieren. Abschließend verbindet sie die Diskussionen um geschlechtergerechte Sprachverwendung mit der Debatte über politische Korrektheit.
Im vierten Block listet Horst Dieter Schlosser in seinem Aufsatz zur Sprachkritik einige unterhaltsame (aber immer gesellschaftspolitisch entlarvende) Beispiele für »Unwörter« auf und erinnert uns daran, dass es meist nicht die Wörter sind, die uns verärgern, sondern die Sachverhalte, die diese Wörter bezeichnen, vgl. Peanuts. Weiter betont er, dass er eigentlich keine Sprachkritik, sondern Sprecherkritik betreibe, weil er den unüberlegten und teilweise gefährlichen Sprachgebrauch anprangert.
Mit nur einigen Verweisen auf ostdeutsche Sprachverwendung hätte sein Beitrag auch gut in den fünften und letzten Block hineingepasst, den jetzt Rudolf Hoberg mit seiner Überzeugung beginnt, dass wir nicht in absehbarer Zeit Denglish oder Germeng sprechen werden. Dabei verweist er darauf, dass es für das Deutsche und seine Stellung innerhalb Europas wichtig wäre, neben dem Englischen als Lingua franca seine Position als häufig gelernte Fremdsprache zu behaupten. Für relevant halte ich auch seinen Hinweis, dass die Zahl der englischen Wörter im Deutschen im Verhältnis zum gesamten Wortschatz und im Vergleich zu anderen Fremd- und Lehnwörtern gering sei. Außerdem macht er uns darauf aufmerksam, dass es gar nicht das gut sichtbare Lexem ist, das dem Deutschen Schaden zufügen könnte, sondern der latente Einfluss, der sich in morphologischen oder syntaktischen Veränderungen (»Ich bin in die Stadt gefahren heute Morgen«) oder Bedeutungsverschiebungen (realisieren) niederschlägt. Hier erweisen sich Sprachen allerdings meist als recht resistent.
Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat es sich – wie auch das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim – zur Aufgabe gemacht, sprachwissenschaftliche Themen nicht nur für einschlägig professionell Ausgerichtete zu behandeln, sondern auch für linguistisch unbedarfte Menschen. Das ist mit diesem Band gelungen. – Ein in weiten Teilen sehr spannendes Buch.
Britta Hufeisen, Darmstadt