Ausgabe: Der Sprachdienst 3/2014

Die Versteher

Was ist ein Versteher? Die Frage ist wohl leicht zu beantworten: jemand, der etwas versteht. Jemand also, der etwas Gesprochenes deutlich hören kann, jemand, der den Sinn von etwas erfassen und deuten kann, oder jemand, der in der Lage ist, sich in jemanden hineinzuversetzen und dessen Handlungsmotive oder Denkansätze nachzuvollziehen. All dies sind Definitionen, die sich in gängigen Wörterbüchern finden – wohlgemerkt unter dem Eintrag des Verbs verstehen, denn das Substantiv, »Versteher, der«, ist dort bislang nicht verzeichnet. Dass dennoch jeder weiß, was das Wort bedeutet, ist seiner regulären Bildungsweise geschuldet: An ein Verb wird die Endung -er angehängt und es bezeichnet dann als Substantiv die »Person, die die durch das Verb bezeichnete Tätigkeit ausübt« (Fleischer/Barz: »Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache«, Tübingen 1992): kennender Kenner: jemand, der etwas kennt; lehrender Lehrer: jemand, der etwas lehrt etc. Dies funktioniert, nebenbei bemerkt, freilich nicht mit jedem Verb: ein Glauber und ein Wisser sind vermutlich bisher noch niemandem begegnet, eher noch findet man sie als Glaubenden oder Wissenden. Auch die Bildung Versteher waren bislang eher rar gesät, man kannte sie bisher wohl nur aus der Verbindung Frauenversteher – als jemand, der Frauen versteht. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Denn damit ist mitnichten jemand gemeint, der tatsächlich Frauen versteht, ihre Denkweise nachvollziehen kann. Nein, das Wort trägt eine eher abwertende Konnotation. Zwar bezeichnet es laut Duden-Universalwörterbuch (Mannheim 2011) einen Mann, »der sich Frauen gegenüber sehr einfühlsam und verständnisvoll gibt«, doch ist dies als »scherzhaft oder ironisch« markiert. Ein Frauenversteher ist landläufig ein ›Weichei‹, ein ›Warmduscher‹, ein ›Waschlappen‹. Frauenversteher ist also eher negativ konntotiert und zumindest als despektierlich aufzufassen.

Nun war das Substantiv Versteher in der jüngeren Vergangenheit äußerst produktiv. Seit Beginn der Krim-Krise in der Ukraine – und teilweise sogar schon davor – ist immer wieder von Russland-Verstehern, von Putin-Verstehern die Rede, also Leuten, die die Motive von Russland im Allgemeinen und von Präsident Putin im Speziellen im Konflikt mit der Ukraine in unterschiedlichem Maße nachvollziehen können. Allerdings fällt eines auf: Diese Bezeichnung erhalten sie nicht aus den eigenen Reihen, sie nennen sich auch nicht selbst so, sondern sie werden von anderen so betitelt, und zwar, dies zeigt sich besonders im jeweiligen Kontext, entgegen der Meinung dessen, der das Wort verwendet. Auch hier trägt der Versteher eine negative Konnotation, das Verständnis der so bezeichneten Person wird in Frage gestellt: Etwas, das von vielen, vielleicht den meisten nicht verstanden, dessen Sinn nicht erfasst und nachvollzogen werden kann, etwas, bei dem es nicht die Regel ist, es zu verstehen, hat plötzlich »Versteher«, Anhänger. Diese Wahrnehmung wird noch dadurch bekräftigt, dass die andere Seite, in diesem Fall die Ukraine, wohl keine »Versteher« benötigt – das Kompositum Ukraine-Versteher ist bislang nicht belegt –, dass es sich hier wohl als weniger notwendig erweist, ein Verstehen der Handlungsmotive zu betonen.

Auch andere Bildungen mit Versteher konnte man in letzter Zeit vernehmen, darunter Obama-Versteher, Gauck, der Banken-Versteher, Steinmeier, der Frankreich-Versteher, Lewitscharoff-Versteher, Islam-Versteher oder Blockupy-Versteher. Sie alle erscheinen markiert; wer das Wort verwendet, distanziert sich merklich von der so bezeichneten Person.

Übrigens fällt auf, dass Versteher, anders etwa als Kenner, nicht allein auftritt, das Wort scheint immer ein Substantiv zum »Anlehnen« zu benötigen:

Ein Kenner des Landes klingt geläufig, aber ein Versteher der Landes? Ein Kenner des Werkes, aber ein Versteher des Werkes? Doch vielleicht löst der Versteher auch hier irgendwann den Kenner ab, wie dies schon beim Frauenversteher der Fall war: Noch in den Wörterbüchern der 80er und 90er Jahre fand sich der Frauenkenner, der schließlich aus einigen Nachschlagewerken verschwand; erst vor wenigen Jahren (etwa in der 25. Auflage des Rechtschreibdudens von 2009) tauchte dann allenthalben der Frauenversteher auf. Ob Kenner und Versteher allerdings synonym zu gebrauchen sind, dagegen sprechen die obigen Ausführungen.

Frauke Rüdebusch