FLINTA+

Hand aufs Herz: Wer hat FLINTA+ schon einmal bewusst wahrgenommen, vielleicht sogar selbst benutzt? Eine nicht repräsentative Kurzumfrage hat gezeigt, dass FLINTA+ mitnichten allseits bekannt oder auch nur verbreitet ist und vermutlich vorwiegend in einer bestimmten gesellschaftlichen »Filterblase« verwendet wird. Die Versalschreibung legt nahe, dass es sich um ein Akronym handelt, also um ein Kurzwort, das aus den Anfangsbuchstaben oder -silben mehrerer Wörter gebildet wurde – und auch das schließende + verrät natürlich, dass mehr hinter dem Wort stecken muss, als es erkennen lässt. Wir nutzen diesen Beitrag, um nicht nur dieses spezielle Akronym zu beleuchten, sondern ebenso weitere Begriffe aus dem Herkunftsbereich: dem Diskurs um Geschlechtervielfalt.
Als Akronym steht FLINTA+ für Frauen, Lesben, Inter-Personen, nichtbinäre Personen, Transpersonen und Agender- Personen (ins Englische adaptiert: female, lesbian, intersex, non-binary, trans, agender); die Gemeinsamkeit der so bezeichneten Menschen ist, dass sie nicht cismännlich sind (vgl. hierzu unten). Das Plus (manchmal auch ein Asterisk; im Folgenden verwenden wir +) gilt als Platzhalter für Personen, die sich in dieser Auflistung möglicherweise nicht wiederfinden, die jedoch ebenfalls aufgrund patriarchaler Strukturen in ihrer geschlechtlichen Identität marginalisiert und diskriminiert werden. FLINTA+ ist somit ein Ausdruck, mit dem Menschen nach ihrem biologischen bzw. sozialen Geschlecht bezeichnet werden, nicht nach ihrer sexuellen Orientierung. Doch es ist viel mehr als eine Gruppenbezeichnung, es ist auch eine Art Signal: Dort, wo dieses Akronym verwendet wird, finden die sich damit identifizierenden Personen einen inklusiven Raum, einen Schutzraum – sie können sicher sein, dass sie dort in ihrer Identität willkommen sind.
Betrachtet man die Aufschlüsselung des Akronyms genauer, stellt sich die Frage: Wieso Frauen und L esben? E rstens sind Lesben doch Frauen, zweitens wird hiermit auf die sexuelle Orientierung abgestellt, auf die FLINTA+ eigentlich nicht verweisen soll. Der Grund liegt in der Entwicklung des Feminismus: So bildet die Lesbenbewegung einen wichtigen Grundstein für Zusammenhalt und Solidarität innerhalb der Frauenbewegung. Der Begriff wurde in die Abkürzung integriert, um auf die Errungenschaften des Feminismus aufmerksam zu machen und darauf, wie geschlechtliche Normen und geschlechtliche Identität in der Gesellschaft verortet sind.
Der Begriff FLINTA+ wird zwar erst seit ca. 2017 vermehrt verwendet, ist jedoch nicht ganz neu. Seit zu Beginn der 1970er-Jahre die ersten »Frauenräume« entstanden sind, in denen Frauen unter sich sein konnten, haben sich nicht nur Gesellschaft und Frauenbewegung weiterentwickelt; auch das Akronym hat verschiedene Formen durchlaufen, analog zur Öffnung der Frauenräume für weitere Personen, die Schutz vor patriarchalen Strukturen suchen: darunter FLT+, FLTI+, FLINT+, FINTA+ etc.
Die Kritik, die an diesem Begriff geübt wird, spiegelt wider, wie vielschichtig und kontrovers die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Vielfalt und Sichtbarmachung der Geschlechter ist: Dass FLINTA+ beispielsweise Cis-Männer ausschließt, sei eine Diskriminierung von Männern und stehe der Gleichberechtigung entgegen; sobald FLINTA+ einen Artikel erhalte (meist: eine FLINTA+), werde der Begriff als Personenbezeichnung verwendet, die indirekt mit Frauen gleichgesetzt werde und andere geschlechtliche Identitäten ausschließe; allerdings werde auch die Sichtbarkeit von (Cis-)Frauen (der FL-Teil des Akronyms) durch INTA+– Personen (zu INTA+/TINA+ vgl. u.) eingeschränkt; gleichzeitig würden Akronyme wie FLINTA+ überhaupt dazu beitragen, die eigentlichen Personen dahinter aus dem Sprachgebrauch zu verdrängen und sie ähnlich unsichtbar machen, wie es das generische Maskulinum tut. – Dieses Fass wollen wir jedoch nicht weiter öffnen.
Werfen wir stattdessen einen Blick auf weitere Begriffe aus dem Geschlechterdiskurs, die neben mehr oder weniger allgemein gängigen wie inter, trans, agender, queer etc. anzutreffen sind.
Recht verbreitet und auch im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (dwds.de) bereits verzeichnet ist das Akronym LGBTQIA+: Es steht für englisch lesbian, gay, bisexual, transgender, queer, intersexual, asexual (›lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, queer, intersexuell, asexuell‹). Nun könnte man annehmen, FLINTA+ sei eine als Wort sprechbare Variante von LGBTQIA+, doch dem ist nicht so: Denn während FLINTA+ auf die geschlechtliche Identität der mit diesem Begriff bezeichneten Menschen abhebt, dabei jedoch Cis-Männer aller sexuellen Orientierungen ausschließt, wird mit LGBTQIA+ ein Personenkreis nach seiner sexuellen Orientierung definiert, der alle heterosexuellen Cis-Personen ausschließt. Das Akronym TINA+ hingegen steht für Transpersonen, Inter-Personen, nichtbinäre und Agender-Personen, also ausschließlich für Menschen, die nicht cisgeschlechtlich sind.
Auch das Adjektiv cis (selten/früher auch zis) macht sich im Sprachgebrauch zunehmend bemerkbar. Es steht als Kurzform für das englische Adjektiv cisgender, deutsch cisgeschlechtlich, und bezeichnet Menschen, deren Geburtsgeschlecht mit ihrem sozialen Geschlecht, also ihrer geschlechtlichen Identität, übereinstimmt: Cis-Frauen sind Menschen, die als Frau geboren wurden und sich als Frau fühlen; Cis- Männer sind Menschen, die als Mann geboren wurden und sich als Mann fühlen. Somit stellt lat. cis (›diesseitig‹) ein Antonym von trans (›jenseitig, darüber hinaus‹) dar: Bei Transpersonen stimmt das biologische Geschlecht, mit dem sie geboren wurden, nicht mit dem Geschlecht überein, mit dem sie sich identifizieren. Die geschlechtliche Unterscheidung in cis und trans ist bereits über 100 Jahre alt; der Begriff der Cis-Geschlechtlichkeit stammt aus den 1990er-Jahren, verbreitet sich aber erst seit knapp 20 Jahren. Das Adjektiv cis hat den Vorteil, dass mit ihm in aller Kürze ausgedrückt werden kann, was sonst impliziert werden, aber falsch sein kann: So gibt etwa die Bezeichnung Mann nur das biologische Geschlecht wieder, während die Bezeichnung Cis-Mann deutlich macht, dass dieser Mann sich mit seinem biologischen Geschlecht auch identifiziert.
Richten wir abschließend einen Blick auf die zugrundeliegende Grammatik der oben erwähnten Adjektive cis, trans, inter, agender etc. und damit einhergehend auf die Rechtschreibung. Besonders in den aktuellen Gebrauchskontexten sieht man sie häufig in attributiver Verwendung: *ein cis Mann, *eine trans Frau, *eine inter Person. Das wirkt nicht nur ungewöhnlich – es gilt aktuell auch als inkorrekt (vgl. dwds.de). Anders als andere indeklinable (also unflektierbare) Adjektive wie super, mega oder original, die auch attributiv verwendet werden (ein super Konzert, eine mega Laufzeit, eine original Jugendstilkommode), sind cis, trans, inter etc. noch nicht entsprechend etabliert: Sie lassen sich derzeit nur prädikativ verwenden (der Mann ist cis, die Frau ist trans, die Person ist inter) oder sind mit dem Substantiv zusammenzuschreiben: ein Cis-Mann/Cismann, eine Trans-Frau/Transfrau, eine Inter-Person/ Interperson. In Verbindung mit Adjektiven kann cis zusammen- oder mit Bindestrich geschrieben werden: cisgeschlechtlich, cisweiblich etc.
Wie sich beides entwickeln wird – gesellschaftliche und sprachliche Verwendung – bleibt, wie so oft, abzuwarten.
Frauke Rüdebusch