Ausgabe: Der Sprachdienst 5/2011

Freunde

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Freunde fürs Leben? Oder nur gute Bekannte? Foto: © Christian Schwier – Fotolia.com

»Möchtest du mein Freund sein?« – Wer hat sie nicht schon einmal gehört, diese rückblickend betrachtet doch recht naive Frage aus Kindertagen, die zumeist mit großer Ernsthaftigkeit beantwortet wurde und der nicht selten Jahrzehnte enger Freundschaft folgten. Auch heute wird sie noch gestellt, vermutlich öfter als jemals zuvor: Ganz offiziell ist sie heute als »Freundschaftsanfrage« tituliert. Ist ihr Zweck zwar weitgehend gleich geblieben, so hat sich ihr Modus doch verändert: Sie wird nicht mehr verbal artikuliert; der Nutzer sozialer Online-Netzwerke erhält sie per E-Mail und kann sie durch einen Mausklick beantworten – nicht ohne Folgen für die Semantik des Wortes Freund.

Ein Freund ist in Zeiten sozialer Netzwerke nicht mehr ein Freund, wie man ihn aus der »analogen« Welt kennt: Die Bedeutung der einstmalig so klar umgrenzten Begriffe Freund und Freundschaft hat sich, von den Wörterbüchern bislang unbeachtet, erweitert. Ein Freund, so das Duden Universalwörterbuch, Mannheim 2011, ist »eine […] Person, die einer anderen in Freundschaft verbunden ist, ihr nahesteht«. Freundschaft ist demnach »ein auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis von Menschen zueinander«. Auch im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm ist ein Freund als »ein geneigter, gleichgestimmter, gleichgesinnter, anhänglicher mann, der freud und leid mit uns theilt« definiert. Bereits einmal hat der Freund eine Bedeutungserweiterung erfahren: Das Wort ist über das Althochdeutsche friunt überliefert, das ehemals die Bedeutung ›der Liebende‹ trug (zum Verb freien ›um eine Frau werben‹, vgl. gotisch frijon ›lieben‹). Diese Bedeutung wird ihm zwar auch heute noch zugeschrieben, doch kann es eben auch viel allgemeiner einen platonischen Freund, jemanden, der einem nahesteht, meinen. Und nun scheint der Freund abermals eine Bedeutungserweiterung zu erleben, eine Abschwächung hin zu einer bloßen Bekanntschaft: Zwar können Freundschaften eng und weniger eng sein, doch war eine Freundschaft bisher im Normalfall klar von einer Bekanntschaft zu unterscheiden, die vom Universalwörterbuch als »Kontakt, persönliche Beziehung« definiert wird. Von gegenseitiger Zuneigung ist nicht die Rede. Ein Bekannter ist jemand, den man kennt, der einem aber nicht notwendigerweise nahestehen oder sympathisch sein muss.

Diese neuerliche Erweiterung der bislang tradierten Bedeutung von Freundschaft ist der Überstrapazierung dieses Wortes in sozialen Netzwerken wie Facebook geschuldet. Gewiss finden sich bei den meisten Nutzern unter den »Freunden« (also jenen Personen, die mit dem eigenen Profil verknüpft sind) auch solche, die in der »realen« Welt dem engeren oder weiteren Freundeskreis angehören. Doch auch Menschen, denen man nur einmal begegnet ist, Personen, die man flüchtig kennt, mit denen man aber kein engeres, durch Zuneigung geprägtes Verhältnis pflegt – ebenjene »Bekannte« –, ebenso Kollegen und gar Menschen, die man nicht leiden kann, zählen dort manche zu ihren »Freunden«. Wie viel Nähe schafft man dadurch zu Personen, die man kaum kennt und zu denen naturgemäß zunächst eine gesunde Distanz herrschen sollte. Ob sich über diese »Eckdatenbekanntschaft« (FAZ, 20.4.2011) hinaus eine »echte«, auch außerhalb des sozialen Netzwerks beständige Freundschaft entwickeln kann, ist mindestens fraglich. Die »Freunde«, die man in sozialen Netzwerken um sich schart, sind oft zahlreicher und wahlloser als jene in der analogen Welt. All diese »Freundschaften« zu pflegen ist zeitaufwändig, doch sollte einem Nutzer die Zahl der »Freunde« über den Kopf steigen, so gibt es ein einfaches Mittel, etwas dagegen zu unternehmen: Man entfreundet sich (von englisch unfriend). Dieses Verb findet sich bisher in keinem Wörterbuch, es ist eine Neuschöpfung des digitalen Zeitalters. Würde eine solche Entfreundung, als eine aktive Entscheidung, in der analogen Welt fast sicher auf einen Streit folgen und mit Schmerz einhergehen, so erspart man sich all dies im sozialen Netzwerk und löst die »Freundschaftsbande« durch einen einfachen Mausklick – oft genug bekommt der derart Entfreundete dies nicht einmal mit.

Kürzlich hat auch Google ein soziales Netzwerk eingerichtet. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen sozialen Netzwerken zeigt sich hier jedoch auf den ersten Blick: Von den mit dem eigenen Profil verbundenen Nutzern – eben jene, die anderswo als »Freunde« bezeichnet werden – wird in ihrer Gesamtheit nurmehr neutral als »Personen« gesprochen. Ein Lichtblick für die wahre Freundschaft?

Frauke Rüdebusch