Graswurzelorthografie

Groß ist an manchen Stellen das Jammern über die Anglizismenflut, von der das Deutsche heimgesucht werde. Personen und Institutionen, die an Sprachpflege und Sprachkritik interessiert sind, beklagen eine Verdrängung deutscher Wörter oder der deutschen Sprache überhaupt. Hier ist nicht der Ort, diese Befürchtungen im Einzelnen daraufhin abzuklopfen, wie berechtigt sie sind und ob die vorgeschlagenen Maßnahmen dagegen sinnvoll und wünschenswert wären.

Die Aufmerksamkeit soll hier vielmehr einem Phänomen gelten, das viele Sprachpfleger auch nicht unbedingt entzücken dürfte und das ich im Titel »Graswurzelorthografie« getauft habe, also eine von der Basis der Sprachgemeinschaft ausgehende Bewegung oder jedenfalls Entwicklung, die gerade im Umgang mit Anglizismen vielfach zu beobachten ist. Viele Menschen hören bestimmte aus dem Englischen importierte Wörter und verwenden sie selbst im Internet dann in geschriebener Form. Oft entsteht dabei eine Phantasieschreibweise, mutmaßlich aus zwei Gründen: Entweder der Schreiber ist des Englischen nur unzureichend mächtig und versucht sich ohne Erfolg an der richtigen englischen Schreibung oder er erkennt das Wort erst gar nicht als ein englisches und verdeutscht die Schreibung eigenmächtig. Und was soll man sagen: Der Anglizismus ist mit einem Mal kaum wiederzuerkennen! Prominente haben plötzlich Glemmer (man beachte auch die Großschreibung) statt glamour . Die Anzahl der Frieks (auf gut Englisch freaks ) im Internet ist kaum noch zu zählen, und dies soll nun keine Internetnutzer verunglimpfen, sondern auch eine rein sprachliche Beobachtung darstellen. Die Schreibweise Frieks ist wie auch Glemmer sehr treu an den Regeln für deutsche Wörter orientiert. Zur Kennzeichnung des langen i wird ie geschrieben, die Kürze des e durch Verdoppelung des Folgekonsonanten mm angezeigt. Es mutet vielleicht etwas paradox an, aber diese »falschen« Schreibungen könnten kaum regelkonformer ausfallen.

Nicht immer steckt hinter den Schreibungen Unvermögen oder Unwissen: Etliche der Frieks nennen sich ganz absichtsvoll so, und auch dem Fernsehsender Pro7 kann man wohl kaum unterstellen, dass in der gesamten Redaktion niemand das englische Wort tough kennt und richtig zu schreiben vermag. Die Sendung, die täglich um siebzehn Uhr ausgestrahlt wird, heißt dennoch Taff . Das sieht irgendwie auch viel knackiger aus als die englische Schreibung, die von einem nachvollziehbaren Verhältnis zwischen Lauten und Buchstaben ohnehin sehr weit entfernt ist. Wer solche »Maßnahmen« der Schreiber – seien sie nun der Unkenntnis geschuldet oder gewählt, um Aufmerksamkeit zu erregen – sehr puristisch und kritisch sieht, sei darauf hingewiesen, dass solche Vorgänge auch innerhalb der Rechtschreibnorm stattfinden: Im Rechtschreibduden von 1924 steht im Eintrag von Büro: »unzulässige Schreibung für: Bureau«. Inzwischen haben wir uns im Einklang mit der aktuellen Rechtschreibung an das Büro durchaus gewöhnen können, dereinst gilt das vielleicht auch für Glemmer.

Nicola Frank