Ausgabe: Der Sprachdienst 2/2019

Identität – identisch – identitär

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Seit geraumer Zeit macht eine Gruppierung von sich reden, die sich als »Identitäre Bewegung«, auch »Identitäre Generation«, kurz »die Identitären« bezeichnet. In ihrer Gesinnung ähnlich ausgerichtete Kreise, die politisch im rechtsextremen Bereich einzuordnen sind, gibt es seit einigen Jahren vermehrt in Europa, so etwa in Österreich den »Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität« und in Frankreich die »Génération identitaire«.

Es soll in diesem Beitrag wie immer nicht um die politische Seite der Organisation, sondern um deren Namen gehen, genauer gesagt um das Adjektiv identitär, das bisher in keinem Wörterbuch zu finden ist. Somit stellt sich die Frage, was dieses Wort eigentlich bedeuten soll und in welchem Zusammenhang es mit uns bekannten Wörtern steht. Genau das wird im Folgenden näher betrachtet.

Da das Wort identitär den gleichen Stamm hat wie die Wörter Identität, identisch, identifizieren, Identifikation, ident etc., liegt es nahe zu vermuten, dass identitär von diesen abzuleiten ist und sich auch seine Bedeutung darauf zurückführen lässt. Das Wort Identität geht auf das spätlateinische identitas zu lateinisch idem ›derselbe‹ zurück. Hier wird eine Bedeutung des Wortes erkennbar, mit der besonders das Adjektiv identisch assoziiert wird: ›völlig übereinstimmend; vollkommen gleich‹ (sie haben identische Interessen). Unter dem Substantiv Identität verstehen wir heute dagegen wohl vor allem und im psychologischen Sinn das »Selbst«, die ›als ›Selbst‹ erlebte innere Einheit einer Person‹, in diesem Sinne ihr ›Sie-selbst-und-niemand-anders-Sein‹. Hier lässt sich eine weitere Bedeutungsnuance des Wortes Identität erahnen, nämlich die »Echtheit einer Person oder Sache«, die ›völlige Übereinstimmung mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird‹. Und daraus schließlich wird die »innere Übereinstimmung, die Wesensgleichheit« erkennbar, für die nicht nur das Substantiv Identität, sondern eben auch das Adjektiv identisch steht: ›dasselbe wie jemand, etwas bedeutend‹. Auch bei ident handelt es sich um ein Adjektiv, das vor allem in Österreich benutzt wird: Sprachökonomisch wird hier das Suffix weggelassen und dennoch hat es dieselbe Bedeutung wie identisch. Als Verb hat sich identifizieren gebildet, zusammengesetzt aus identisch und dem Suffix -(ifi)zieren, das auf lateinisch -ficare ›machen‹ zurückgeht; somit ist das Verb eigentlich als ›identisch machen‹ zu verstehen. Tatsächlich stellt dies eine der Bedeutungen des Wortes dar, nämlich ›etwas/jemanden mit etwas/jemandem gleichsetzen‹ (die öffentliche Meinung mit der Meinung des Bürgertums identifizieren), häufiger jedoch ›sich selbst mit jemandem/etwas gleichsetz en‹ (der Schauspieler identifizierte sich mit seiner Rolle) oder sogar sich emotional ›mit einer anderen Person oder Gruppe gleichsetzen und dabei ihre Motive und Ideale in das eigene Ich übernehmen‹. Daneben – und wohl Krimifans besonders bekannt – trägt identifzieren die Bedeutung ›genau wiedererkennen; die Identität, Echtheit einer Person oder Sache feststellen‹ (einen Verhafteten, eine Leiche identifizieren). Als Substantive haben sich hierzu sowohl Identifzierung als auch Identifikation gebildet – der semantische Unterschied besteht darin, dass bei Identifizierung der Prozess des Identifizierens betont wird, während bei Identifikation das Ergebnis im Vordergrund steht.

Nun ist also geklärt, welche Bedeutung der Basis von identitär zugeschrieben werden kann, nämlich vor allem ›Übereinstimmung, Gleichsetzung‹. Das Suffix -är (in anderen Wörtern auch -ar) trägt natürlich auch eine Bedeutung. Es geht zurück auf lateinisch -aris, französisch -aire und wird üblicherweise an ein Substantiv angehängt. Dadurch bildet es in der Regel relative Adjektive (= eine Zugehörigkeit ausdrückend) wie muskulär ›die Muskeln betreffend‹ im Gegensatz zu ornativen (= schmückenden) Adjektiven wie muskulös ›reich an Muskeln‹. Somit kann dem Adjektiv identitär die folgende Bedeutung zugeschreiben werden: ›die Identität betreffend, zum Man-selbst-und-niemand-anders-Sein gehörend, die Übereinstimmung mit dem, was man ist, betreffend‹. Über die Adjektivbildung hinaus stellen Wörter mit dem Suffix -är (zu lateinisch -arius) auch Personenbezeichnungen dar, so etwa Reaktionär, Revolutionär, Funktionär, Aktionär, Pensionär oder Millionär. Und nun eben auch Identitär. Die Identitären können somit als Menschen gedeutet werden, die in völliger Übereinstimmung mit dem leben, was sie sind.

Ohne Zweifel ist all das ein bisschen sperrig und nicht so recht greifbar. Und womöglich wollen die Identitären sich nicht auf diese so simple schlussfolgernde Bedeutung beschränkt wissen, doch wie so oft entwickeln sich zu bestimmten Wörtern mit klar umrissener Bedeutung darüber hinausweisende, vielleicht vom wörtlichen Sinn losgelöste Bedeutungen. Und dennoch wissen wir: So harmlos das klingt, es steckt doch mehr dahinter.

Frauke Rüdebusch