Maßeinheit Saarland
Das Saarland ist ein deutsches Bundesland. Diese Tatsache dürfte sich relativ großer Bekanntheit erfreuen. Weniger bekannt, wenngleich keine ganz neue Beobachtung, ist die, dass das Saarland eine ungeheuer beliebte Maßeinheit ist. Den wenigsten Menschen dürfte beim Stichwort Maßeinheit spontan das Saarland einfallen. Näherliegend sind dann doch Einheiten wie Meter, Milliliter oder Kilowatt, und aus der Naturwissenschaft dürfte sich auch Widerstand dagegen regen, das Saarland in diese Reihe aufzunehmen.
Dennoch ist es im Sprachgebrauch (insbesondere in den Medien) wesentlich beliebter als andere Ausdrucksmöglichkeiten, die sich exakter Maßeinheiten bedienen. Das Saarland hat eine geographische Ausdehnung, die der Brockhaus mit 2569 km² angibt. Wenn nun eine Feuersbrunst irgendwo auf der Welt ein Waldgebiet vernichtet, das eine Fläche von 5138 km² hat, könnte das in Fernsehnachrichten oder einer Zeitungsmeldung so ausgedrückt werden: »Das Feuer zerstörte ein Waldgebiet von 5138 km².« Mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit wird die Nachricht aber tatsächlich lauten: »Das Feuer zerstörte ein Waldgebiet doppelt so groß wie das Saarland.«
Während andere Bundesländer fast ausschließlich im »internen« Vergleich (also deutsches Bundesland im Vergleich zu einem anderen deutschen Bundesland) angeführt werden, ist das Saarland im internationalen und multifunktionalen Einsatz. Ob Ölteppich, Erdbebengebiet, ein See im Sudan oder ein Reservat in Botswana, wo man auch hinschaut, wird die Größe mit »x-mal so groß wie das Saarland« veranschaulicht.
Man kann sich fragen, warum das Saarland dafür so beliebt ist. Es ist kaum zu vermuten, dass das Saarland die menschliche Vorstellungskraft stärker beflügelt als Nordrhein-Westfalen oder Sachsen-Anhalt.
Einen Erklärungsansatz könnte die allgemein menschliche Faulheit liefern, die sich auch sprachlich immer wieder zeigt. So hat Nordrhein-Westfalen fünf Silben und Saarland nur zwei. Damit ist das Saarland unter den deutschen Bundesländern allerdings nicht ganz alleine, auch Bayern, Hessen und Sachsen sind Zweisilber und trotzdem als Vergleichsgröße für räumliche Ausdehnung nicht annähernd so beliebt.
In einer Zeitungsdatenbank erzielt die Suche nach der Wortfolge »so groß wie Bayern« zwar keine geringe Anzahl an Treffern. Wenn man aber alle Fälle abzieht, in denen mit »Bayern« nicht das Bundesland, sondern der FC Bayern München gemeint ist, steht Bayern als Maßeinheit für den Größenvergleich auch nicht besser da als die anderen Bundesländer. Irgendein Zauber scheint dem Saarland also über seine Zweisilbigkeit hinaus innezuwohnen.
Die Bewohner/-innen des kleinsten deutschen Flächenlandes sehen diese fast inflationäre Verwendung offenbar mit etwas gemischten Gefühlen: Auf der einen Seite ist das Saarland auf diese Weise erfreulich häufig »in aller Munde«, auf der anderen Seite geschieht dies so oft im Zusammenhang mit Naturkatastrophen wie Waldbränden, Erdbeben oder Überschwemmungen, dass die Freude auch wieder ein wenig getrübt wird.
Ein Blick über den Tellerrand zeigt übrigens, dass sich das Saarland in transatlantischer Gesellschaft befindet: In den USA heißt die entsprechende Vergleichsgröße Rhode Island, und das ist der kleinste amerikanische Bundesstaat.
Nicola Frank