Ausgabe: Der Sprachdienst 4–5/2024

Warum heißt es Nichte und nicht Neffin?

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[F] Warum heißt es Nichte und nicht Neffin, zu Neffe?

[A] Sprache folgt ihren ganz eigenen Prinzipien und die Wege, die sie einschlägt, sind oftmals nicht allzu leicht nachzuvollziehen. So auch in diesem Fall: Obwohl es die Ausdrücke nicht mehr so recht erkennen lassen, gehen sowohl Nichte als auch Neffe als heutige Bezeichnungen für die Kinder der eigenen Geschwister auf den gleichen Wortstamm zurück, nämlich indogermanisch nepot- ›Enkel, Neffe‹ bzw. neptiə– ›Enkelin, Nichte‹. Beide Formen haben sich zwar parallel entwickelt, doch während Neffe eine recht einheitliche Sprachlinie verfolgte (ahd. nevo, mhd. neve), bildeten sich bei Nichte regionale Varianten heraus.

In der ober- bzw. hochdeutschen Sprachentwicklungslinie wurde neptimit der Zeit zu Niftel, zeitgleich entwickelte sich aber auch die niederdeutsche Form Nichte. Bei beiden Varianten ist das auslautende –t erhalten geblieben. Seit dem 16. Jahrhundert und verstärkt im 17. Jahrhundert wurde die niederdeutsche Form in der Literatursprache verwendet und begann so, die bis dahin weitläufig gebräuchliche Form Nift(el) zu verdrängen. Obwohl diese Form noch das in Neffe erhaltene f bzw. [f] aufweist, haben sich die Bezeichnungen hier doch schon recht weit auseinanderentwickelt.

Im 18. Jahrhundert wurde Nichte endgültig in die Hochsprache übernommen und damit verlor sich auch dieser die beiden Formen Neffe und Nift(el) verbindende Laut. War bis zum 16./17. Jahrhundert in einigen Gegenden Deutschlands tatsächlich auch die weibliche Form [die] Neffin, im Lucas- Evangelium gar [die] Neffe gebräuchlich, galt diese Bezeichnung für die Tochter des eigenen Bruders oder der Schwester nun als veraltet und gänzlich ungewöhnlich.

Quellen

Friedrich Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 25. Aufl. Berlin, 2011.

Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2. Aufl. Berlin 1993.