Seit wann sprechen wir vom Nichtraucher?

[F] Seit wann ist eigentlich das Wort Nichtraucher im Deutschen geläufig? Im »Grimm« habe ich wohl Raucher gefunden, nicht aber Nichtraucher. Gab es den Ausdruck schon vor dem Jahr 1900?

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[A] In der Sprachdokumentation der GfdS (in unserem Hausjargon »Ewigkeitskartei« genannt) gibt es einige Belege zu Nichtraucher erst seit den 70er Jahren, und eher interessant im Hinblick auf die gegenwärtige Debatte ist Nichtraucherschutz – ab 1971 belegt (so aus der Presse: »Ärzte fordern Nichtraucherschutz«), dann verstärkt wieder ab etwa 1990; für die DDR ist Nichtraucherzone (auf Bahnhöfen einzurichten) laut FAZ 1975 belegt.

Was die allgemeinen deutschen Wörterbücher angeht, so ist das Wort Nichtraucher zumindest für 1867 nachzuweisen – siehe Trübners Deutsches Wörterbuch, Bd. 5, 1954, Beleg aus Wilhelm v. Kügelgens Jugenderinnerungen eines alten Mannes: »da man in seinem Hause nach seiner Regel lebe und Nichtraucher ihm lästig seien«. Bei Adelung und Campe wird Nichtraucher nicht aufgeführt – anders als Raucher, dieser Ausdruck war schon im 17. Jahrhundert geläufig, in der Regel als Kompositum: Tabakraucher, wie aus dem 1691 erschienenen Wörterbuch Teutscher Sprachschatz von Johann Kaspar Stieler hervorgeht. (Bei Stieler findet sich übrigens neben Raucher die feminine Variante Raucherin, mit Umlaut als Reucherinn, welche im »Grimm« dann fehlt!)

Bei Adelung heißt es im Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, 1801: »Der Raucher […] der da raucht, in der zweyten thätigen Bedeutung des Zeitwortes; ein nur in dem zusammen gesetzten Tobaksraucher übliches Wort, ein Mensch, welcher Tobak zu rauchen gewohnt ist.« Ganz ähnlich die Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft von J. G. Krünitz, 1773–1858: »Raucher, ein nur in dem zusammengesetzten Tabacksraucher übliches Wort, ein Mensch, welcher Taback zu rauchen gewohnt ist.«

Die entsprechende beruhigende Passage unter dem Stichwort Tabak in Brockhaus‘ Konversations-Lexikon (14. Auflage, 1895) hat anscheinend ein Raucher (oder eine Raucherin?) verfasst: »Das Tabakrauchen bewirkt, nachdem der Ekel und die mit den ersten Versuchen oft verbundenen, an Vergiftungen erinnernden Zufälle, Kopfschmerz, Erbrechen und Durchfall, überwunden sind, eine wohlthuende Anregung des Nervensystems; auch schreibt man ihm Beförderung der Verdauung, Schutz vor miasmatischer Ansteckung und Stillung nervöser Zahnschmerzen zu. Das T. stillt überdies auch den Hunger, ähnlich wie Opium und Alkohol.« Man erfährt in diesem Lexikon zudem, dass die ersten Tabakpflanzen 1565 aus Frankreich nach Deutschland kamen, dass Tabak zunächst als Heilmittel eingesetzt wurde, später als Luxus- und Genussmittel, dass im 17. Jahrhundert »Theologen und Moralisten« gegen den »höllischen Rauch« zu Felde zogen. Und durchaus aktuell wirkt diese Bemerkung: »Gegenwärtig ist der T. ein über die ganze Erde verbreitetes Genußmittel von der höchsten Wichtigkeit für Industrie und Handel.« Erwähnt wird auch das Tabakscollegium, die Abendgesellschaft, die Friedrich Wilhelms I. von Preußen »zu seiner Unterhaltung häufig in Berlin, Potsdam oder Wusterhausen um sich versammelte. Teilnehmer waren des Königs Vertraute, Minister oder höhere Offiziere. Alle Anwesenden pflegten aus kurzen thönernen Pfeifen Tabak zu rauchen.«

Die ausführliche Version Tabak rauchen – nicht einfach rauchen – ist auch in dieser Zeit offenbar die näherliegende.

Das Wortbildungsmuster von Nichtraucher ist unkompliziert; analoge Bildungen sind z. B. Nichtdenker, -dichter, -gelehrter, -kenner (18./19. Jahrhundert), bei Schiller etwa findet sich Nichtpoet, und schon im Mittelhochdeutschen kommen nihtbilde, nihtgeist, nihtpersône vor. Oft werden Substantive mit Nicht- bei Personenbezeichnungen beobachtet, wo sie zur Klassifizierung dienen: Soldat – Nichtsoldat, Christ – Nichtchrist, Fachmann – Nichtfachmann etc., und so gibt es neben den Trinkern – Nichttrinkern auch die Raucher – Nichtraucher. Doch ab wann finden sich die Nachweise?

Ende des 19. Jahrhunderts lag das Wort Nichtraucher sozusagen in der Luft, und Konrad Duden hatte das Stichwort schon in die erste Ausgabe seines Orthographischen Wörterbuchs von 1880 aufgenommen, als ein Beispiel für die Schreibung von Zusammensetzungen mit Nicht. Seitdem steht Nichtraucher im »Duden«.

Wohl im Zusammenhang mit der Eisenbahn – heute denkt man bei Raucher und Nichtraucher spontan an die separaten Eisenbahnabteile, die Wagen für Raucher bzw. Nichtraucher, die es lange Zeit gegeben hat. So wie man bei Joachim Ringelnatz lesen kann: »Auf der Rückfahrt schnauzte mich der Schaffner an, weil ich ahnungslos im ›Nichtraucher‹ rauchte« (Mein Leben bis zum Kriege, 1931), gleichfalls bei Kurt Tucholsky: »Du hast bezahlt – die andern fahren alle umsonst. Bedenke, daß es von ungeheurer Wichtigkeit ist, ob du einen Fensterplatz hast oder nicht; daß im Nichtraucher-Abteil einer raucht, muß sofort und in den schärfsten Ausdrücken gerügt werden – ist der Schaffner nicht da, dann vertritt ihn einstweilen und sei Polizei, Staat […]« (Die Kunst, falsch zu reisen, 1929). Zur Eisenbahn bemerkt Meyers Großes Konversations-Lexikon (1905):

»Während die Abteilwagen eine vollständige Trennung der ›Raucher‹, ›Nichtraucher‹ und ›Frauen‹ zulassen, gewähren die Durchgangswagen einen freien (oft allerdings auch störenden) Verkehr der Reisenden und des Dienstpersonals durch den ganzen Zug […]«, und an das richtige Benehmen während der Eisenbahnfahrt erinnerte Marie Calm: Die Sitten der guten Gesellschaft. Ein Ratgeber für das Leben in und außer dem Hause (1886): »Herren haben besondere Rücksichten hinsichtlich des Rauchens zu nehmen. In Deutschland gibt es ja nur ausnahmsweise Koupees für Nichtraucher, während in anderen Ländern, wo diese Passion nicht so allgemein ist, nur hier und da ein Koupee für Raucher sich in dem Zuge befindet.«

Welche Belege finden sich nun für Nichtraucher? Gehen wir zeitlich zurück, von Kügelgen, wie zitiert abgesehen, so wird dieses Wort verwendet z. B. von Theodor Fontane 1878 (Vor dem Sturm: »Rabe rauchte still, Schnökel in großen Wolken, während Niedlich, ein ausgesprochener Nichtraucher […] jetzt eine alte Frau heranwinkte, um sich den Schaumkringeln zuzuwenden«), Gustav Freytag 1859–1867 (Bilder aus der deutschen Vergangenheit: »Das Tabakrauchen und -kauen, oder, wie man damals sagte, Tabaktrinken, -essen und -schnupfen verbreitete sich schnell in allen Heeren, und die Wachtstuben wurden dem Nichtraucher ein beschwerlicher Aufenthalt«) oder Willibald Alexis, 1854 (»Sie unterhielt sich ja selbst […] mit Spott und Anekdoten über Pastoren, von denen doch einer dabei war und sich nur zu verteidigen wußte wie der Nichtraucher unter Rauchern, wenn er die Pfeife selbst in den Mund nimmt«). Aber schon in der Erzählung Das Bild des Kaisers von Wilhelm Hauff findet sich dieses Wort, 1827: »daß sie rauchen, macht sie höchstens für einen Nichtraucher unangenehm, daß sie Bier trinken, geschieht wohl aus Armut«. Dies ist also unser Erstbeleg für Nichtraucher.

Nachtrag

Dank eines aufmerksamen Lesers haben wir nun noch einen älteren Beleg. Im Stuttgarter Morgenblatt sprach man bereits 1807 vom Nichtraucher: »Der Qualm dieser Zigarren hat etwas so betäubendes, und für den Nichtraucher übelmachendes, daß mir in dieser dichtgedrängten und sich reibenden Menschenmasse die schwarze Höhle in Ostindien einfiel, und ich mich in das Lesezimmer rettete, wo vernünftigerweise nicht geraucht wird.«