Phrasenschwein

Das Wort Phrasenschwein hat es bislang noch nicht ins Wörterbuch geschafft, ist aber allen Menschen geläufig, die sonntags um elf Uhr das Deutsche Sportfernsehen einschalten und die Sendung Doppelpass anschauen. Für alle Leser/-innen, die das nicht tun, sei erläutert, was es mit dem Phrasenschwein auf sich hat: Es handelt sich um ein Sparschwein, und von den Gästen der Sendung, die den aktuellen Bundesligaspieltag zwei Stunden lang analysieren, wird Geld hineingeworfen. Dieses Geld wird immer dann als Strafe fällig, wenn einer der Herren (abgesehen von einem einzigen der Redaktion erinnerlichen Besuch der ZDF-Sportjournalistin Katrin Müller-Hohenstein handelt es sich bei den Gästen ausschließlich um Herren) eine »Phrase« verwendet.

»Phrase« hat beim Doppelpass in etwa die Bedeutung ›nichtsssagender Allgemeinplatz‹, um im Bereich des Fußballs zu bleiben also Äußerungen wie »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel«, »Der Ball ist rund« und dergleichen mehr. Was alles als Phrase anzusehen ist, liegt im Ermessen einer Band, die immer dann, wenn sie eine Phrase gehört zu haben meint, dem Redenden mit einem Tusch in die Parade fährt. Der auf diese Weise Unterbrochene muss dann drei Euro ins Phrasenschwein werfen, und erst dann kann es weitergehen.

Es bleibt, nebenbei bemerkt, auch bei geneigtester Betrachtung höchst undeutlich, was genau eine Phrase in den Augen der Bandmitglieder ausmacht, denn manchmal werden inhaltlich recht solide Beiträge schnöde unterbrochen, während man sich bei anderen Ausführungen fragt, ob die Band überhaupt einmal mit dem Spielen aufhören dürfte, wenn sie die Jagd auf nichtssagende Allgemeinplätze wirklich ernst nähme. Das ist für die Sendung aber auch gar nicht wichtig. Die Gäste – darf man unterstellen – können die finanzielle Einbuße allesamt verkraften, und gesammelt wird natürlich für einen guten Zweck.

Spätestens hier, vielleicht auch schon früher, stellt sich nun die Frage, inwiefern das Phrasenschwein außerhalb dieses konkreten Fernsehformats von Interesse ist und warum es an dieser Stelle so ausführlich porträtiert wird. Es ist deshalb von Interesse, weil sich das Phrasenschwein inzwischen sprachlich von der Sendung emanzipiert hat: »Dass Bildung Luxus ist, klingt zwar nach einem Fall fürs Phrasenschwein, hat aber durchaus seine Berechtigung«, war unlängst auf einer Internetseite zu lesen. Und in einer Filmkritik heißt es: »Tarantino zeigt hier zuviel von seinem Können – 5 Euro ins Phrasenschwein, aber: Manchmal ist weniger einfach mehr!« Und nicht nur im Internet entdeckt man es, sondern auch die Frankfurter Rundschau schrieb anlässlich der letzten Landtagswahl in Hessen folgenden Satz: »Stünde im Römer ein Phrasenschwein, wäre es am Ende dieses denkwürdigen Abends voll bis zur rosa Schnauze.«

Das Phrasenschwein hat sich sozusagen aus dem Fernsehstudio in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgemacht und taucht plötzlich in Zusammenhängen auf, die mit Fußball oder der Doppelpass-Runde nicht das Geringste zu tun haben. Möglicherweise erleben wir also gerade die Geburt einer neuen Redewendung »etwas ins Phrasenschwein werfen« mit zahlreichen Varianten, und da lohnt es sich schon, genauer hinzuschauen und das Phrasenschwein herzlich willkommen zu heißen, demnächst dann vielleicht auch im Wörterbuch.

Nicola Frank