Ausgabe: Der Sprachdienst 3–4/2012

Piraten – reine Freibeuter der Meere?

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© bd

»Piraten-Panik« in Deutschland – dergleichen Uneindeutigkeiten waren in jüngerer Zeit des Öfteren in den Nachrichten zu vernehmen. Nicht selten stellte man sich sodann die Frage: »Piraten? Ja, welche denn?« Denn spätestens seit die Piratenpartei in deutsche Landtage Einzug hielt und hält, findet sie in den Medien vermehrt Erwähnung und wird dabei oft nur kurz als »die Piraten« bezeichnet. Es handelt sich also offenbar um ein Teekesselchen, um eine Polysemie, deren beabsichtigte Bedeutung ohne Kontext nicht so einfach erschlossen werden kann, denn auch »echte« Piraten sind in den letzten Jahren aktiv gewesen (z. B. vor der Küste Somalias) und wiederholt ein Thema in den Medien.

Doch handelt es sich wirklich um ein klassisches Teekesselchen, bei dem zwei Wörter unterschiedliche Bedeutungen haben und zum Teil auch verschiedenen Ursprungs sind?
Zumindest Letzteres ist zu verneinen: Die Piratenpartei leitet ihren Namen, wie unten erläutert wird, von den Seepiraten ab, und so liegt bei beiden das griechische Verb peirãn ›wagen, unternehmen‹ bzw. das Substantiv pe?ra ›Versuch, Wagnis‹ zugrunde. Hieraus entwickelte sich griechisch peir?t?´s ›Seeräuber‹, das über das lateinische und später italienische pirata im 15. Jahrhundert ins Deutsche entlehnt wurde. Auch der Parteipirat ist somit im Grunde zunächst als ›(See-)Räuber‹ zu definieren.

Dass die Mitglieder der Piratenpartei jedoch nicht gerade dem Bild eines waschechten Piraten entsprechen, ist offensichtlich. Weder erfüllen sie die seit langem gültigen Klischees von Augenklappe, Zahngold, Hakenhand, Holzbein und Papagei auf der Schulter, noch lassen sie sich so recht mit dem dank der Hollywood-Filmreihe »Fluch der Karibik« (engl. »Pirates of the Caribbean«) propagierten Bild des Piraten als romantischer Verführer, als »echter Kerl« à la Johnny Depp in Einklang bringen. Auch die Verbrechen, die von Seepiraten verübt werden, und die Gefahr, die von ihnen ausgeht, möchte man der Piratenpartei absprechen.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht doch einige Gemeinsamkeiten zwischen Parteipiraten und Seepiraten festzustellen sind, denn wenn »herkömmliche«, also ursprüngliche Piraten bei der Benennung der Piratenpartei eine Rolle spielten, so ist eine vollständig von der alten losgelöste Bedeutung nicht möglich. Wo genau liegt also die Schnittstelle zwischen diesen und jenen Piraten? Die Piratenpartei (in Deutschland und in anderen Ländern) benannte sich nach der schwedischen Anti-Copyright-Organisation Piratbyrån (›das Piratenbüro‹), und plädiert wie diese, überspitzt gesagt, für die Aufweichung von Urheberrechten und den freien Zugang auch zu fremdem geistigen Eigentum im Internet. Im Zuge der »digitalen Revolution«, die wir derzeit erleben, kam der Begriff der Softwarepiraterie auf: Personen, die nach geltendem Urheberrecht unrechtmäßig digitale Inhalte wie Texte, Bilder, Filme oder Musikstücke kopierten und weiterverwerteten, wurden als Piraten bezeichnet, da sie, ähnlich wie die Seeräuber fremde Schiffe und fremdes Gut, das Internet und fremde Daten »plünderten« und unautorisiert verwendeten. Die genannten Befürworter dieser Vorgehensweise griffen diese negativ konnotierte Bezeichnung auf und verwendeten sie als sogenanntes Trotz- oder Geusenwort (aus dem Niederländischen), indem sie die Beschimpfung für sich positiv ummünzten und der Ausdruck Piraten dadurch auch in der Öffentlichkeit eine Bedeutungserweiterung und Neubewertung erfuhr. Piraten sind also nicht mehr gleich Piraten, wenn sich auch die Piratenpartei verschiedentlich der Seeräubersymbolik bedient und so auch bildlich eine Verbindung zu Seepiraten herstellt: Eine gehisste Flagge schmückt das Parteilogo, der Schattenriss eines Segelschiffs bebildert die offizielle Webseite der Partei, der Slogan »Klarmachen zum Ändern« ist abgeleitet vom Piratenruf »Klarmachen zum Entern« und das Nachrichtenmagazin »Flaschenpost« informiert über die Aktivitäten der Partei.

Auf den ersten Blick sind Piraten also nicht von Piraten zu unterscheiden, und so werden wir mitunter auch weiterhin rätseln, mit welchen Piraten wir es zu tun haben, wenn wir Konstruktionen wie Piratenjagd, Anti-Piraten-Mission b oder »Seit es die Piraten gibt, darf wieder ernsthaft über Weltverbesserung geredet werden« (Die Zeit, 31.05.2012) hören – bis ihnen der Kontext eine unzweifelhafte Bedeutung zuweist.

Frauke Rüdebusch