Ausgabe: Der Sprachdienst 3/2016

Schmähen

© CC-Lizenz

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Ein einzelner Mann verschärfte die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Er tat dies in seiner beruflichen Funktion, nicht als Privatmann. Doch dieser Mann ist nicht etwa Politiker – nein, er ist Satiriker. Und als solcher verfasste er ein Gedicht, das das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei nachhaltig beeinflusst hat: seine »Schmähkritik«.

Hintergrund ist folgender: Eine deutsche Satire-Sendung hatte ein Lied über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verfasst, das Satiriker Jan Böhmermann zum Anlass nahm, den Unterschied zwischen Satire einerseits und Schmähkritik andererseits zu erklären. So sei besagtes satirisches Lied »von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit« gedeckt. Um anschaulich zu machen, wie dagegen eine in Deutschland strafbare Schmähkritik aussehen könnte – was man also nicht äußern dürfe –, trug er ein Gedicht mit dem Titel »Schmähkritik« vor, in dem er genau dies tat: Er äußerte das Unäußerbare. Damit zog er den Zorn des türkischen Präsidenten auf sich und hat nun mit einer strafrechtlichen Verfolgung zu rechnen.

Für uns zum Thema wird nun aber weder die Abgrenzung zwischen Satire und Schmähung noch der in Frage stehende Inhalt des Gedichts; stattdessen schauen wir uns das Wortfeld um den Akt des Schmähens genauer an. Das Verb schmähen existiert seit dem 8. Jahrhundert, zunächst in der Form bismāhen, später dann smāhen und smæhen. Es handelt sich um ein Verb zum Adjektiv smāhi bzw. smæhen mit der Bedeutung ›klein, verächtlich‹, schmähen ist demnach als ›verächtlich machen‹ zu verstehen. Als Wort mit ähnlicher Bedeutung existierte im Altnordischen mit smá ›höhnen‹. Noch heute ist schmähen im Sinne von ›verhöhnen, mit verächtlichen Reden beleidigen, beschimpfen, schlechtmachen‹ zu deuten. Auch das Adjektiv schmählich gehört zu dieser Wortgruppe, ebenso wie das Verb verschmähen ›aus Geringschätzung, Verachtung ablehnen, zurückweisen‹.

Zum genannten Adjektiv hat sich im 9. Jahrhundert auch das Substantiv Schmach (über smāhī, smāch, smæhe) gebildet mit der ursprünglichen Bedeutung ›Kleinheit, Geringfügigkeit‹; heute wird es – in gängigen Wörterbuchern als »gehoben emotional« markiert – im Sinne von ›Kränkung, Schande, Herabwürdigung, Demütigung‹ verwendet. Schon die Brüder Grimm sprachen in ihrem Deutschen Wörterbuch (Leipzig 1854 ff.) davon, dass sich dieses Wort gern »mit sinnverwandten wörtern wie schande, hohn, spott, verachtung u. ähnl.« verbindet, und auch in heutigen Wörterbüchern findet man noch die verstärkende Wendung Schmach und Schande. Das Substantiv Schmähung dagegen wurde vom Verb abgeleitet (nicht vom Adjektiv) und bezeichnet einerseits die Tätigkeit des Schmähens, andererseits ein schmähendes Wort, einen schmähenden Ausdruck, eine schmähende Rede, Aussage, Beschuldigung etc.

Spätere Bildungen sind die sogenannten t-Ableitungen: das Adjektiv schmächtig ›klein‹ im 14. Jahrhundert (zu spätmittelhochdeutsch smahtec) und im 17. Jahrhundert schließlich das Verb schmachten ›leidend nach jemandem/ etwas verlangen; sich schmerzlich sehnen‹. Letzteres lässt sich schon im Mittelhochdeutschen als versmahten, im Mittelniederdeutschen als smachten nachweisen, und es ist anzunehmen, dass das Verb auch mit althochdeutsch gismāthōn, gismātheōn ›schwach werden‹ in Verbindung zu bringen ist.

Das Verb schmähen schart also eine ganze Reihe von verwandten Ausdrücken um sich, deren Bedeutung sich großenteils ähnelt. Zu guter Letzt ist der wohlbekannte Wiener Schmäh zu nennen: Auch dessen Wurzeln sind bei schmähen zu suchen. Der Schmäh geht ebenso wie die Schmach bzw. Schmähung auf mittelhochdeutsch smæhe zurück, das Wort wird jedoch fast ausschließlich in der österreichischen Alltagssprache verwendet und trägt verschiedene Bedeutungen, darunter ›Kunstgriff, billiger Trick; Schwindelei, Unwahrheit‹, vor allem aber ›verbindliche Freundlichkeit; Sprüche und Scherze‹.

Es muss wohl angenommen werden, dass Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedicht nicht in erster Linie bösartige Unterstellungen und Beleidigungen in seiner Sendung unterbringen wollte, sondern es als Mittel zum Zweck nutzte, seinen Beruf als Satiriker auszuüben: indem er Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder anprangert.

Übrigens findet sich das Stichwort Schmähgedicht bereits im »Deutschen Wörterbuch« der Brüder Grimm und wurde demnach wohl nicht erst von Jan Böhmermann geprägt. Denn schon Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Rückert (hier zitiert) haben diesen Ausdruck verwendet: »Und er beginnt zufrieden ein Schmähgedicht zu schmieden.«

Frauke Rüdebusch