Ausgabe: Der Sprachdienst 5/2012

Schreddern

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Das Wort an sich dürfte wohl den meisten bekannt sein, und auch, was sich dahinter verbirgt, nämlich das Zerkleinern von verschiedenen Materialien wie Papier, Holz oder gar Metall, ist weitgehend geläufig. So fiel der Ausdruck wohl nicht weiter ins Auge, als im Juli eine »Schredderaktion«, nämlich das Schreddern von Akten im Zusammenhang mit den Neonazi-Morden und der Terrorzelle NSU, ans Licht kam. Zahlreiche Akten waren vorzeitig geschreddert worden, was zum Verdacht der Vertuschung führte: Denn die in geschredderten Dokumenten enthaltenen Informationen gelten gemeinhin als verloren, als vernichtet. Das Rohmaterial jedoch kann wiederverwendet werden: Papier und Metall werden recycelt, geschreddertes Holz wird beispielsweise als Mulch im Garten eingesetzt. So ist schreddern nicht gleich ›löschen‹, denn einerseits ist das Material weiterhin physisch vorhanden – andererseits lassen sich auch Papierschnipsel wieder zusammensetzen und so die vermeintlich vernichteten Informationen wiederherstellen. Dies etwa geschah zunächst manuell, seit einigen Jahren auch maschinell bei jenen Stasi-Akten, die 1989 in aller Eile in den Reißwolf befördert worden waren und zu über 16.000 Säcken Schreddergut führten. Übrigens stellt der Reißwolf nur ein Teilsynonym des Schredders dar, da er seinerseits nicht nur Papier, sondern auch Textilien zerkleinert, anderes Material hingegen nicht, im Gegensatz zum Papierwolf oder Aktenvernichter, die ausschließlich für die Papierzerstückelung zuständig sind.

Das Verb schreddern hat sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts relativ unauffällig in unsere Alltagssprache geschlichen. Es hat seine Wurzeln im Englischen, ist jedoch nicht als Verb entlehnt worden, sondern zunächst wurde das Substantiv Schredder vom englischen Wort shredder abgeleitet, das wiederum vermutlich selbst als sogenanntes Nomen instrumenti aus dem Verb to shred ›zerfetzen, in Stücke reißen‹ entstanden ist. Erst aus dem entlehnten Substantiv bildete sich also das Verb schreddern: Während der Schredder (auch heute noch mit Bezug auf den englischen shredder) bereits seit den 70er Jahren in den Nachschlagewerken verzeichnet ist: seit 1971 in der »Brockhaus-Enzyklopädie«, seit 1973 im Rechtschreibduden, wurde das Verb erstmals in den Rechtschreibduden von 2000 aufgenommen. Im mehrbändigen »Großen Wörterbuch der deutschen Sprache« ist es erst seit der 4. Auflage 2012 verzeichnet, in der 3. Auflage von 1999 war es noch nicht enthalten. Für eine solche Ableitung vom Substantiv ließe sich auch ins Feld führen, dass bei einer Entlehnung vom englischen Verb to shred höchstwahrscheinlich die deutsche Form schredden entstanden wäre (wie beamen, mailen, boosten etc.).

Die ursprüngliche Aufgabe eines Schredders ist übrigens nicht die Papier- bzw. Aktenvernichtung, sondern sie wird in den Nachschlagewerken lediglich als Zerkleinerung von Autowracks bzw. anderen sperrigen Metallteilen sowie von Gartenabfällen angegeben. Für das Verb hingegen wird als Bedeutung nur ›mit einem Schredder zerkleinern‹ genannt.

Doch nicht nur für die Zerkleinerung von verschiedenen Materialien wie Papier und Metall wird das Verb schreddern nun verwendet: Man spricht neuerdings auch im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung von schreddern, also im eigentlichen Sinn vom Zerfetzen, Zerreißen elektronischer Daten: Dateien und elektronische Dokumente werden geschreddert, also nicht physisch, sondern virtuell vorhandenes Material, wenn der eigentlich zutreffendere Ausdruck wohl löschen oder auch vernichten wäre, da ein solches Vorgehen naturgemäß auch keine physischen Rückstände hinterlässt. Doch als im August bekannt wurde, dass auch der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg Akten und gar seine Computer-Festplatte hat vernichten lassen, wurde erneut von einer »Schredderaktion« gesprochen. Dies mag zutreffen, was die physische Vernichtung der Akten und der Festplatte betrifft, fragwürdig ist die Verwendung von schreddern jedoch, wenn es um das unwiederbringliche Löschen der Daten und Dateien auf dieser Festplatte geht. Durch die zunehmende Digitalisierung von Dokumenten und Akten ist allerdings zu vermuten, dass sich schreddern in absehbarer Zeit nicht mehr nur auf die physische Zerstückelung von Papierakten in kleine, unlesbare Teile und somit auf die potentielle Vernichtung der darin enthaltenen Informationen beziehen wird, sondern sich seine Bedeutung tatsächlich auch dauerhaft um den Zusatz ›unwiederbringlich und ohne Rückstände löschen, ausradieren‹ erweitern wird. Wir werden die Entwicklung des Verbs im Auge behalten.

Frauke Rüdebusch