Von Selfies und Softies
Die japanischen Touristen stehen vor dem Brandenburger Tor und sehen es sich durch die Linsen ihrer Kameras an. Nachdem sie genügend Fotos von dem Denkmal geschossen haben, drehen sie ihm den Rücken zu und halten erneut ihre Apparate vor sich. Was gibt es denn nun festzuhalten? Die S-Bahn-Station und die dahinter liegende Straße Unter den Linden? Aber nein, es wird noch immer das Brandenburger Tor fokussiert, diesmal jedoch im Hintergrund eines Selfies!
Fotos mit der Kamera am langen Arm von sich selbst zu machen, ist derzeit ein großer Trend vor allem bei der jüngeren Generation. In den meisten Fällen werden Selfies mit der Intention gemacht, sie anschließend in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und auch Whats App mit den Freunden zu teilen; längst haben sie sich hier als neue Form der Kommunikation und des Austausches etabliert, denn sie teilen uns mit: Schaut, wo ich war, schaut, wen ich getroffen habe, schaut, was ich kann, mache, habe. Dabei ist weder das Wort neu noch – natürlich – die Tradition der Selbstporträts.
Doch wo früher der Spiegel, später dann der Selbstauslöser eine wesentliche Rolle für das von sich selbst geschossene Foto spielten, reicht es heute, im Zeitalter der digitalen Fotografie, die Kamera auf Armeslänge von sich zu strecken und den Auslöser zu drücken. Und ist das Bild nichts geworden, macht man einfach ein weiteres. Neuerdings gibt es sogar eine Selfie-Stange, eine Art Stativarm, mit der die Kamera auf weiterem Abstand oder höher gehalten werden kann, so dass neben der eigenen Person noch andere und zudem der Hintergrund mit auf das Bild passen. Freilich, wo Selfies die Kommunikation im Netz möglicherweise befördern, sind sie der Kommunikation mit Passanten abträglich, denn macht man das Foto selbst, bleibt es aus, Fremde zu bitten eines zu schießen.
Das Wort Selfie kommt aus dem Englischen und bedeutet, wörtlich übersetzt, so viel wie ›Selbst-ie‹ (von engl. self ›selbst‹). In den gedruckten Wörterbüchern hat der Ausdruck bislang keinen Eingang gefunden, der Online-Duden verzeichnet ihn hingegen bereits. Er kam zu Beginn des neuen Jahrtausends auf, vermutlich also mit der Entwicklung und Verbreitung von Digitalkameras und Fotohandys. Besonders in den vergangenen zwei oder drei Jahren hat die Beliebtheit dieser »Selbstporträts« stark zugenommen, und so kürte 2013 das Oxford English Dictionary das Wort zum britischen Wort des Jahres.
Die Struktur von Selfie folgt bereits bekannten Mustern der Wortbildung; im englischen Sprachraum werden durch das Anhängen des Suffixes -ie an ein existierendes Wort, das wie im Falle von Self-ie nicht notwendigerweise ein Substantiv sein muss, des Öfteren neue Wörter gebildet, die stets im Zusammenhang mit der Wortbedeutung des Ausgangswortes stehen. Viele dieser so gebildeten Wörter sind mittlerweile auch bei uns verbreitet. Der neuste Trend etwa heißt Shelfie, nach englisch shelf ›Regal, Bücherbord‹: In Anlehnung an Selfie ist damit das Foto des eigenen (Bücher-)Regals gemeint, das im Netz hochgeladen wird. Statt wackliger Bilder mit verzerrten Gesichtern werden nun also mehr und mehr hübsch arrangierte Stillleben mit den Freunden geteilt.
Gerade im Dunstkreis des Selfies sind mittlerweile viele weitere Wörter entstanden, die hierauf referieren, so etwa das Helfie (eine Kontamination aus Haar und Selfie: ein Foto von den eigenen Haaren – eventuell, um die Frisur von den Freundinnen beurteilen zu lassen, bevor man ausgeht), das Drelfie (kombiniert aus drink/drunk ›trinken/betrunken‹ und Selfie: ein Selfie im betrunkenen Zustand) und das Belfie (aus backside ›Rückseite, Hinterteil‹ und Selfie: ein Foto vom eigenen Hinterteil). Auch das Nudie ist in diesem Zusammenhang zu sehen (von nude ›nackt‹). Es bezeichnet einerseits ein Nackt-Selfie, andererseits ist es – als Femininum – schon länger aus dem Bereich der Mode bekannt: Von einer Jeans der Marke Nudie spricht man kurz von einer Nudie.
Daneben gibt es auch im deutschen Wortschatz viele weitere auf -ie gebildete Anglizismen. Als Foodies etwa werden informell »Feinschmecker« bezeichnet, Menschen also, die sich – im Gegensatz zum Gourmet – hobbymäßig intensiv mit Nahrungsmitteln, Essen (engl. food) und dem kulinarischen Bereich im Allgemeinen beschäftigen; statt Selfies verbreiten sie häufig Fotos der vor ihnen stehenden Speisen im Netz. Sowohl der Softie (engl. soft ›weich‹), der Hippie (engl. hip u. a. ›unter dem Einfluss von Drogen stehend‹) als auch der Yuppie sind bei uns schon lange bekannt, wobei beim Wort Yuppie eine Besonderheit vorliegt: Es wird nicht durch die Suffigierung eines existierenden Wortes gebildet, sondern das Suffix -ie wird an ein Akronym, ein aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter gebildetes Kurzwort angehängt: yup = young urban professional, in etwa ›junger, karrierebewusster Großstadtmensch‹.
Ein Goodie ist eine kostenlose Zugabe zum Einkauf (engl. good ›gut, Nutzen‹, im Plural auch ›Waren‹), ein Homie ist in der Umgangssprache jemand, der aus demselben Viertel stammt (engl. home ›Heim, Zuhause‹), und ein Newbie ist ein Neuling (engl. new ›neu‹). Die Liste lässt sich wohl noch weiter ausdehnen und wir warten gespannt, welche Wortschöpfung auf -ie uns als nächste begegnen wird. Ein Selfie dürfen Sie derweil von uns weniger erwarten, Shelfies können wir hingegen zahlreiche liefern.
Frauke Rüdebusch