Ausgabe: Der Sprachdienst 1/2016

Was Hubschrauber und Schneepflug gemeinsam haben

@ CC-Lizenz

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Vorbei sind sie wohl, die Zeiten, als Kinder noch unbeschwert Kinder sein durften. Als sie draußen herumbutscherten (Butscher ist ein norddeutsches Wort für ›Kind‹, wohl insbesondere für Jungen; das dazugehörige Verb ist in etwa mit ›herumstromern, herumstrolchen‹ zu übersetzen), aus gesammelten Stöcken und Ästen Höhlen bauten, mit dem Fahrrad durch die Straßen fuhren, über Zäune und auf Bäume kletterten, sich in Pfützen und Matschkuhlen vergnügten und einfach das taten, was Kinder so tun, wenn sie unbeaufsichtigt spielen dürfen. Heute müsste man die Liste freilich um einige weitaus häuslichere Aktivitäten ergänzen, etwa Computer spielen, Fernseh gucken und per Smartphone mit den Freunden chatten.

Vorbei sind diese unbeschwerten Zeiten für jene Kinder mit Helikoptereltern, Helikopterkinder genannt. Nein, es handelt sich nicht um eine Krankheit, zumindest nicht im landläufigen Sinn. Als Helikoptereltern, manchmal auch Hubschraubereltern, werden jene Eltern bezeichnet, die ihrem Kind keinen Freiraum lassen, sich selbst zu entfalten, die es auf Schritt und Tritt überwachen, kontrollieren, stets wissen wollen, wo sich ihr Kind gerade befindet, was es tut, was es vorhat. Sie kreisen wie ein Hubschrauber um ihre Kinder, um sie vor den Gefahren des Lebens abzuschirmen, statt ihnen beizubringen, damit umzugehen, eine Intuition dafür zu entwickeln, wie man ihnen begegnet. Sie überbehüten ihre Kinder – wohl deshalb hat man derlei Mütter früher als Übermütter bezeichnet. Heute hat man eine Metapher für sie gefunden, die ihre überwachenden Eigenschaften zwar einerseits verhüllen, sie jedoch andererseits auf den Punkt bringen.

Eine andere Ausprägung der Überbehütung pflegen die Schneepflugeltern. Sie räumen ihren Kindern – einem Schneepflug gleich – alle Hindernisse aus dem Weg. Sie klären Differenzen mit den Schulkameraden oder den Obrigkeiten, erledigen die Hausaufgaben ihrer Kinder, machen Stunk, wenn nicht alles glatt läuft – natürlich nicht bei den Kindern, die können ja nichts dafür. Schuld sind immer die anderen. Wie man sich behauptet, wie man sich durchboxt, wie man lernt, mit Schwierigkeiten umzugehen, das bleibt diesen Kindern fremd.

Helikoptereltern wie Schneepflugeltern züchten durch ihren Erziehungsstil eine Generation Weichei heran, denn sie nehmen ihren Kindern die Möglichkeit, selbst zu erkunden, wie sie mit den Widrigkeiten des Lebens klarkommen, wie sie ein selbstbestimmtes, selbstständiges Leben führen können.

Doch keine Bewegung ohne Gegenbewegung: Die »Free-Range Kids«-Bewegung kommt aus den USA, von wo sich auch der Ausdruck Helikoptereltern verbreitet hat. Free-Range-Eltern ziehen ihre Kinder in »Freilandhaltung« groß, ganz ohne »Käfig«, und geben ihnen den Freiraum, den Kinder benötigen, um zu selbstständigen Persönlichkeiten zu werden. Dass solche Eltern, die ihre Kinder auch einmal unbeaufsichtigt spielen lassen, in den USA schon verurteilt wurden mit der Begründung, sie würden ihre Aufsichtspflicht und damit ihre Kinder vernachlässigen, zeugt tatsächlich von einem tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft. Da bleibt nur zu hoffen, dass Hubschrauber und Schneepflüge hierzulande nicht überhand nehmen.

Frauke Rüdebusch