Meldung vom 14. Dezember 2018
GfdS wählt »Heißzeit« zum Wort des Jahres 2018
Die Wörter des Jahres 2018
- 1. Heißzeit
- 2. Funklochrepublik
- 3. Ankerzentren
- 4. Wir sind mehr
- 5. strafbelobigt
- 6. Pflegeroboter
- 7. Diesel-Fahrverbot
- 8. Handelskrieg
- 9. Brexit-Chaos
- 10. die Mutter aller Probleme
Das Wort des Jahres 2018 ist Heißzeit. Diese Entscheidung traf am Mittwoch eine Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden. Sie thematisiert damit nicht nur einen extremen Sommer, der gefühlt von April bis November dauerte. Ebenfalls angedeutet werden soll eines der gravierendsten globalen Phänomene des frühen 21. Jahrhunderts, der Klimawandel. Nicht zuletzt ist Heißzeit eine interessante Wortbildung. Mit der lautlichen Analogie zu Eiszeit erhält der Ausdruck über die bloße Bedeutung ›Zeitraum, in dem es heiß ist‹ hinaus eine epochale Dimension und verweist möglicherweise auf eine sich ändernde Klimaperiode.
Auf Platz 2 wählte die Jury Funklochrepublik. Vor allem im ländlichen Raum ist in Deutschland die Mobilfunkabdeckung vergleichsweise schlecht, was spätestens seit dem letzten Bundestagswahlkampf ein politisches Thema ist. Ob der neue Mobilfunkstandard 5G »an jeder Milchkanne nötig« sei oder nicht, wurde von Vertreterinnen und Vertretern der Großen Koalition intensiv diskutiert.
Mit der Einführung von Ankerzentren (Platz 3) wollte die Große Koalition das Problem der unkontrollierten Migration in den Griff bekommen. Das Erstglied Anker steht hier nicht für Fixierung oder Sicherung wie beim Anker eines Schiffs, sondern für »Ankunft, Entscheidung, Rückführung«, ist also eine Art Akronym (ein Wort, das aus Anfangsbuchstaben oder -silben anderer Wörter gebildet wird). In einem Ankerzentrum sollen Flüchtlinge untergebracht werden, bis sie in Kommunen verteilt oder aber – nach Ablehnung ihres Asylantrags – in ihr Herkunftsland abgeschoben werden.
Mit dem Satz Wir sind mehr (Platz 4) reagierte eine breite Öffentlichkeit auf fremdenfeindliche Kundgebungen in Chemnitz. Zunächst handelte es sich dabei um den Titel eines Konzerts »gegen Rechts«, zu dem im September mehr als 65.000 Besucher in die sächsische Stadt kamen.
Strafbelobigt (Platz 5) oder auch strafbefördert wurde Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesverfassungsschutzes. Er hatte sich mehrfach mit politischen Stellungnahmen weit aus dem Fenster gelehnt. Vor allem die SPD, aber auch Teile der CDU forderten seine Ablösung. Innenminister Seehofer hielt zunächst seine Hand über ihn und wollte ihn zum Staatssekretär im Innenministerium befördern, was die Große Koalition an den Rand des Bruchs brachte. Nach einer öffentlich gewordenen Politiker-Schelte Maaßens sah sich der Minister gezwungen, ihn in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
Platz 6 belegt der Ausdruck Pflegeroboter. Das Wort steht stellvertretend für eine Diskussion um die Zukunft der Betreuung von Pflegebedürftigen und Kranken, in der in absehbarer Zeit Roboter den Platz von Pflegekräften übernehmen könnten. Der Roboter »Pepper« wurde 2018 als Prototyp vorgestellt.
Ein Diesel-Fahrverbot (Platz 7) wurde in verschiedenen deutschen Städten erlassen, um die Einhaltung einer EU-Richtlinie zu Stickstoffdioxid-Grenzwerten durchzusetzen. Dieselfahrzeuge älterer Bauart sind besonders umweltbelastend. Trotz zweier Spitzentreffen von Vertretern des Bundes, der Länder und der Kommunen, bei denen 2017 vereinbart worden war, mehrere Milliarden Euro für die Investition in sauberere Dieselmotoren zur Verfügung zu stellen, ließen sich die Fahrverbote nicht überall vermeiden.
Ein Handelskrieg (Rang 8) wurde von US-Präsident Trump als politisches Mittel der Wahl nicht nur der EU, sondern auch dem großen Konkurrenten China mehrfach angedroht. Handelskriege seien »gut und leicht zu gewinnen«, teilte Trump mit, um seinen Entschluss zu rechtfertigen, Strafzölle auf Stahl und Aluminium zu erheben.
Mit Brexit-Chaos (Platz 9) greift die GfdS-Jury ein Thema auf, das mehr oder weniger das gesamte Jahr 2018 begleitete. Die schwierigen Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens führten die Gefahr eines harten oder auch ungeordneten Brexits mit kaum auszudenkenden Folgen vor Augen und ließen eine Wortkreuzung zweiter Ordnung entstehen: gegenüber den Brexiteers (›Brexit-Befürwortern‹) gewannen die Bregretter (›Brexit-Gegner‹) immer mehr an Boden. War schon Brexit eine Wortkreuzung aus Britain und Exit, so erscheint Bregretter als Wortkreuzung aus Brexit und regret (›bedauern‹).
Platz 10 belegt der Ausdruck die Mutter aller Probleme. So hatte Innenminister Horst Seehofer die Migration bezeichnet und damit eine intensive Debatte ausgelöst, in deren Verlauf vielerlei als Mutter aller Probleme bezeichnet wurde: von der CSU bis zu Horst Seehofers Mutter. Die GfdS weist mit ihrer Wahl zugleich auf ein sprachliches Muster hin, wonach die Mutter aller … für das größte aller Exemplare einer Kategorie steht: die Mutter aller Schlachten (nannte Saddam Hussein 1990 den 2. Golfkrieg), die Mutter aller Bomben (warfen die USA 2017 über Afghanistan ab), die Mutter aller Niederlagen (erlebte die CSU bei der Landtagswahl 2018) usw.
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Die Wörter des Jahres werden 2018 zum 42. Mal in Folge bekannt gegeben. Traditionell suchen die Mitglieder des Hauptvorstandes und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GfdS nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern wählen solche, die das zu Ende gehende Jahr in besonderer Weise charakterisieren.
Heißzeit
Der Sommer des Jahres 2018 dauerte gefühlt von April bis November. Es war viel zu trocken; die Pegelstände der Flüsse sanken so tief, dass vielerorts die Schifffahrt eingestellt werden musste. Die Brandgefahr war hoch; in Niedersachsen verursachte die Bundeswehr bei Schießübungen einen Moorbrand, der wochenlang nicht gelöscht werden konnte.
2018 war keineswegs der erste Extremsommer. Bereits 2003 hatte es das Wort Jahrhundertglut (als Anspielung auf die Jahrhundertflut wenige Jahre zuvor) unter die Wörter des Jahres geschafft. Viele, die noch gezweifelt hatten, kamen zu der Auffassung, dass die Klimakatastrophe (Wort des Jahres 2007) doch nicht als Fake News abzutun sein könnte. Nicht so das »stabile Genie« in Washington (Donald Trump über Donald Trump), das den menschengemachten Klimawandel weiterhin radikal leugnete und sich auch durch die schlimmsten Waldbrände in der Geschichte Kaliforniens nicht von seiner Position abbringen lassen wollte.
Zusammengesetzte Wörter neigen im Gegensatz zu Wortgruppen dazu, eine eigene Bedeutung auszubilden, die nicht einfach als Kombination der Bedeutungen ihrer Bestandteile erklärt werden kann. Altbier ist kein altes Bier und ein Edelmann muss kein edler Mann sein. So steht auch Heißzeit nicht einfach nur für einen Zeitraum, in dem es heiß ist, sondern lehnt sich lautlich wie semantisch an Eiszeit an. Es steht für eine Klimaperiode: das Gegenteil einer Eiszeit. In dieser Bedeutung ist es keineswegs neu; bereits 1992 erklärte der Journalist Franz Alt: »Zuerst steigen die Temperaturen bis zum Jahr 2030 um zwei bis sieben Grad, dann erwischt uns schlagartig die Eiszeit, weil der Golfstrom versiegt. […] Eiszeit in Norddeutschland und Heißzeit in Süddeutschland?« (Zeit, 2. 10. 1992) – »Klimaforscher warnen […] vor einer Heißzeit und befürchten, dass sich die Erde langfristig um vier bis fünf Grad Celsius erwärmen könnte«, las man unter dem Eindruck der Hitzewelle auch 26 Jahre später noch in der Presse (Süddeutsche Zeitung, 8. 8. 2018).
Da es sich jedoch nicht um ein vollständig etabliertes Wort handelt – nicht von ungefähr fehlt es beispielsweise im großen Duden, während Warmzeit, das fachsprachliche Gegenwort zu Eiszeit, verzeichnet ist –, begegnen immer wieder auch spontane Neubildungen aus heiß und Zeit. Bei ihnen geht es tatsächlich nur um einen überschaubaren Zeitraum, in dem es heiß ist. In Nürnberg sorgte sich beispielsweise die Stadtverwaltung darum, »dass der frisch gepflanzte Baumnachwuchs die aktuelle Heißzeit übersteht« (www.infranken.de, 9. 8. 2018).
Wie weit man die Wortspielereien treiben kann, zeigt sich daran, dass sich Rückwirkungen auf die Bedeutung von Eiszeit erkennen lassen, indem auch hier die beiden Wortbestandteile für sich betrachtet werden: »Heißzeit ist Eiszeit! Für mich gibt es im Sommer nichts Schöneres, als beinebaumelnd auf der Terrasse zu sitzen und kugelweise Eis zu essen.« (taz, 23. 6. 2018) – Mit den verschiedenen Bedeutungen von heiß spielend reimte schon 1982 Udo Lindenberg in dem Song Zwischen Rhein und Aufruhr: »Ich steh‘ nicht auf Eiszeit, wir brauchen die Heißzeit.«
Sollten die hochtemperaturigen Sommermonate künftig häufiger auftreten, so bestehen durchaus Chancen, dass sich das schillernde Substantiv im Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache fest etabliert.
Jochen A. Bär