Ausgabe: Der Sprachdienst 1-2/2020

2020

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Ein paar Wochen des neuen Jahres sind bereits ins Land gegangen, doch sicher kann man immer noch ein frohes neues Jahr wünschen. Neuer als das alte ist es in jedem Fall und gute Wünsche sind nie verkehrt. Manch einer wünschte zum Jahreswechsel gar ein glückliches neues Jahrzehnt – nun, das wäre ja tatsächlich noch taufrisch, rein relational. Aber wer hat sie nicht vernommen, die pedantischen Stimmen, die uns einflüsterten, das neue Jahrzehnt beginne erst mit 2021? Wer hat da recht? Dieser Frage, der Jahreszahl 2020, ihren möglichen Aussprachen und weiteren dringenden Jahreszahl-Fragen widmet sich dieser Beitrag.

Klären wir zunächst, ob wir uns noch im alten oder bereits im neuen, im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts befinden. Ein Jahrzehnt ist erst dann abgeschlossen, wenn zehn Jahre um sind, und jede Zählung bis 10 beginnt nun einmal mit 1 – nur in der Informatik wird von 0 bis 9 gezählt. (Leichter vorstellbar wird es mit Äpfeln, die man zählt – zählt man zehn Äpfel ab, hat man zehn Äpfel, nicht neun.) Somit ist das zweite Jahrzehnt erst mit 2020 abgeschlossen, das nächste beginnt 2021. So weit, so logisch. Etwas komplizierter wird es, wenn man dieser kalendarischen Begründung eine kulturelle Gepflogenheit zur Seite stellt: Denn demnach sind die Zwanzigerjahre, die Dreißigerjahre, die Vierzigerjahre etc. jeweils auch Jahrzehnte – nur dass diese eben jene Jahre umfassen, die auf die entsprechende »Zehnerzahl« lauten, also 2020 (-zwanzig) bis 2029 (-neunundzwanzig) für die Zwanzigerjahre, 1980 bis 1989 für die Achtzigerjahre, 1990 bis 1999 für die Neunzigerjahre etc. So gesehen haben also alle recht: Diejenigen, die behaupten, das neue Jahrzehnt beginne (kalendarisch) erst 2021, und diejenigen, die dagegenhalten, dass wir uns (kulturell betrachtet) bereits in den Zwanzigerjahren befinden. Das ist doch ein hübscher Kompromiss.

Bei einer Tatsache dürften sich allerdings alle einig sein: Mit Beginn der Zwanzigerjahre – und zumindest für die nächsten 80 Jahre – ist endlich diese seit beinahe zwanzig Jahren herrschende Unsicherheit vorbei, wie denn das (um bei obiger Terminologie zu bleiben: kulturelle) Jahrzehnt genannt wird, in dem wir uns befinden. Dies nun sind die Zwanzigerjahre – doch noch vor wenigen Wochen befanden wir uns in den Zehnerjahren. Ja, so heißen sie tatsächlich und die Bezeichnung ist ganz regulär gebildet, auch wenn sie uns vielleicht komisch vorkommen mag. Offen bleibt dagegen die Frage: Wie soll man die Dekade zwischen 2000 und 2009 bezeichnen? Ab und zu spricht man von den Nullerjahren, doch diese Bezeichnung weicht von der regulären Bildung ab: Regulär ist für die Benennung der Dekaden die entsprechende »Zehnerzahl« maßgeblich, die bei der Aussprache zuletzt genannt wird: -vierzehn, -fünfzehn, -sechzehn (Zehnerjahre); -siebenundzwanzig, -achtundzwanzig, -neunundzwanzig (Zwanzigerjahre). Die Jahre 2000 bis 2009 enden jedoch auf die »Einerzahl«: -eins, -zwei, -drei. Dies ist der Unterschied zu den anderen Dekaden: In der gesprochenen Sprache gibt es hier keine Gemeinsamkeit in der Benennung der einzelnen Jahre dieser Dekade, und so muss man auf eine Gemeinsamkeit in der geschriebenen Sprache zurückgreifen: Dies ist die nicht gesprochene Null, was schließlich zur Bezeichnung Nullerjahre führt – die übrigens inzwischen sogar im Duden verzeichnet ist, wenn auch mit dem Vermerk »meist scherzhaft«. Einen »ernsten« Namen hat das erste Jahrzehnt eines jeden Jahrhunderts indes noch immer nicht – sieht man von erstes Jahrzehnt ab.

Auch die »korrekte« Aussprache der Jahreszahl ist seit mindestens zwanzig Jahren ein Thema. (Achtung: Es geht hier nicht darum, wie Zahlen im Deutschen grundsätzlich ausgesprochen werden; dies ist eine andere Frage, mit der sich Georg Schuppener beschäftigt hat: Hier geht es zu seinem Vortrag.) Während noch im 20. Jahrhundert die Jahreszahlen auf Neunzehnhundert lauteten, fuhr man im 21. Jahrhundert nicht so fort – statt Zwanzighundert sagen wir Zweitausend-. Das hat sich längst so eingebürgert, anders kommt es uns seltsam vor. Daneben gibt es aber weitere Möglichkeiten: Wie wir nach den einzelnen Bestandteilen auch Neunzehn-Neunzig (19-90) sagen, hört man analog Zwanzig-Zwanzig (20-20). Interessant ist: Diese Aussprache hat sich erst für die Jahre ab 2010 (Zwanzig-Zehn, 20-10) etabliert, Zwanzig-Eins (20-01), Zwanzig-Sieben (20-07) sind kaum zu vernehmen. Sogar das noch stärker verkürzte Zwei-Fünfzehn (für 2015), auch hier erst für die Jahre ab 2010 (also nicht: Zwei-Eins für 2001), begegnet uns mitunter. Manch einer macht sich bereits Gedanken darüber, wie wir die Jahreszahlen ab 2100 aussprechen sollen: Einundzwanzighundert– wie Neunzehnhundert– oder Zweitausendeinhundert– wie Zweitausend-? Da Sprache nach Vereinfachung strebt, ist es wahrscheinlicher, dass sich auch hier eine verkürzte Form wie Einundzwanzig-Fünfzehn (2115) herausbildet. Doch wie auch immer sich die Sprache bis zur nächsten Jahrhundertwende entwickeln und was tatsächlich verwendet werden wird, welche Aussprache auch immer gewählt wird, am wichtigsten ist das richtige Verständnis.

Das bringt uns zu einem weiteren Punkt: Sicherheitsexperten raten uns derzeit, die Jahreszahl 2020 bei Datumsangaben nicht abzukürzen, also nicht 13.02.20 zu schreiben, sondern 13.02.2020. Warum das? Damit kein Schindluder mit so datierten Dokumenten getrieben werden kann. Setzt man das verkürzte Datum etwa in einen Vertrag – z. B. »Nutzungsrecht bis zum 31.12.20« –, kann nachträglich leicht eine beliebige Zahl ergänzt und somit verfälscht werden und das Nutzungsrecht dauert an bis zum 31.12.2050 – oder ist bereits am 31.12.2015 erloschen.

Regt sich Ihr Sprachgefühl, wenn Sie die Formulierung in 2020 hören? Oder verwenden Sie sie gar selbst? Wurden Sie dafür möglicherweise bereits gerügt und fragen sich nun, was daran falsch ist? Ja, dies ist ein kontroverses Thema, denn die Fügung in 2020 wurde aus dem Englischen entlehnt, auch wenn man es ihr gar nicht ansieht. Die deutsche Entsprechung wäre etwas umständlicher im Jahr 2020 oder schlicht 2020 ganz ohne Präposition. Wir sind vorsichtig, diese Fügung nach englischem Vorbild als »falsch« zu bezeichnen, denn sie ist ja inzwischen weit verbreitet und wird häufig verwendet – doch standardsprachlich akzeptiert ist sie (bislang) nicht, ähnlich wie Sinn machen (englisch to make sense). Im Übrigen unterkringelt sogar das Schreibprogramm, mit dem dieser Text verfasst wird, die Fügung in 2020 – das muss was heißen.

Zu guter Letzt ein kurzer Exkurs in die Rechtschreibung: Möchte man die Zwanzigerjahre abkürzen bzw. mit der Zahl schreiben, so sind zwei Schreibungen korrekt: 20er Jahre und 20er-Jahre – kein Abstand, kein Bindestrich zwischen der Zahl und -er.

Zwar sind mittlerweile schon zwanzig Jahre des neuen Jahrhunderts, des neuen Jahrtausends vergangen: Die oben erläuterten Fragen nach Benennungen, Aussprache und Schreibung von Jahreszahlen sind es noch lange nicht und sie werden möglicherweise nie aufhören. Aber wie schön ist es, hierin eine Konstante im Vorbeiziehen der Jahre zu finden.

Frauke Rüdebusch