27. Juni 2022

26. Juni: Tag des Verzeihens

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»Verzeihung: Welchen Tag haben wir heute eigentlich?« Gestern, am 26. Juni 2022, war der Tag des Verzeihens. Diesen nehmen wir zum Anlass, in die Geschichte des Verbs verzeihen zu blicken, dessen Herkunft und Verwandtschaften sind nämlich alles andere als uninteressant.

Zunächst einmal zu seinen Bestandteilen: Bei verzeihen handelt es sich um ein Präfixverb. Präfixe oder Vorsilben – hier: ver- – tragen selbst eine Bedeutung und gehen einem Wortstamm – hier: zeihen – voraus, wodurch sie mit diesem zusammen einen neuen Wortstamm bilden. Das Präfix ver- hat im Deutschen acht verschiedene Bedeutungen. Eine davon ist ›eine Sache wird durch etwas (ein Tun) beseitigt, besteht nicht mehr‹, wie in verachten (›nicht mehr achten‹), verfrühstücken (›etwas zum Frühstück aufgegessen haben‹), verbraten (›etwas aufbrauchen‹). Zeihen selbst trägt die Bedeutung ›beschuldigen, bezichtigen‹ – auch Letzteres steht in wortgeschichtlichem Zusammenhang mit zeihen – und ist bereits im 9. Jahrhundert mit dem althochdeutschen zīhan belegt, mittelhochdeutschen zīhen. Das Verb zeihen bedeutete ursprünglich ›(an)zeigen, kundtun‹, später dann spezieller ›auf einen Schuldigen hinweisen, anzeigen, beschuldigen‹. Jemandem verzeihen bedeutet demnach also ›jemandem etwas Verschuldetes nicht anrechnen‹, ›einen Anspruch aufgeben‹ oder ›jemandem ein Vergehen vergeben, jemanden entschuldigen, von Schuld freisprechen‹.

Mit dem Präfix zusammen kommt zeihen auch im Mittelhochdeutschen schon als verzīhen vor und bedeutete so viel wie ›versagen, abschlagen, sich lossagen‹, noch vorher im Althochdeutschen bereits als farzīhan ›versagen, verweigern‹. Auch das Wort Verzicht ist hiermit etymologisch verwandt.

Die heutige Bedeutung von jemandem verzeihen entwickelte sich im 15. Jahrhundert. Die rechtssprachliche Verwendung sich (seines Rechtsanspruchs auf Wiedergutmachung) verzeihen im Sinne von ›darauf verzichten‹ findet sich im Mittelhochdeutschen als verzīhunge ›dem Schuldigen vergeben‹.

Jemandem verzeihen ist somit als der Verzicht auf Vergeltung zu verstehen, etwa jemandem eine Kränkung verzeihen: Der Kränkung (oder einem Unrecht) folgt, wenn verziehen wird, keine heftige Reaktion oder Vergeltungsmaßnahme, sondern es wird mit Nachsicht und Großzügigkeit reagiert.

Der Akt des Verzeihens durchbricht einen Schuldausgleich und soll nicht nur die schuldige Person befreien, es soll auch befreiend auf einen selbst wirken.

Quellen

Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim 2012.
Duden. Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle. Berlin 2016.
https://www.dwds.de/wb/verzeihen
https://www.beobachter.ch/gesellschaft/vergebung-wann-gelingt-es-zu-verzeihen