Ausgabe: Der Sprachdienst 6/2023

Ableismus

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Wer das Wort kennt, hat vielleicht eine Vorstellung davon, wie es auszusprechen ist, zumindest aber ist vermutlich bekannt, was damit ausgedrückt werden soll. Wer das Wort nicht kennt, ist in der Regel erst einmal etwas ratlos: Was soll das sein, wie spricht man es richtig aus? Und wenn man sich dann dem Wort über verschiedene Versuche, es zu artikulieren, nähert, fällt zumeist auch der Groschen, was sich dahinter verbergen könnte. All jenen, denen das Wort gänzlich neu ist, wollen wir hier zum Verständnis verhelfen, und für all diejenigen, die es kennen, die Aussprachemöglichkeiten erörtern – sollte noch keine Entscheidung darüber gefallen sein, welche man bevorzugt. Worum es hier wie immer nicht gehen soll: eine gesellschaftspolitische Einordnung.

Lösen wir zunächst auf, was das Wort bedeutet: Bei Ableismus handelt es sich um die Diskriminierung von Personen mit Behinderung. Mit diesem Wissen erschließen sich auch schnell die Morpheme, die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten eines Wortes, aus denen sich Ableismus zusammensetzt: engl. {able} und {ismus}. Das Suffix –ismus ist altbekannt; es bringt typischerweise eine Geisteshaltung, eine Ideologie zum Ausdruck und kann positive bzw. neutrale Ableitungen ebenso hervorbringen wie negativ konnotierte (Optimismus, Pazifismus, Humanismus, Buddhismus, Idealismus, Aktivismus, Liberalismus, Kapitalismus, Vandalismus, Sprachpurismus, Kolonialismus usw.). Ebenso tritt es auf, um verschiedene Formen von Diskriminierung zu bezeichnen: Rassismus als Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Ethnie und/oder Herkunft, Sexismus als Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Antisemitismus als Diskriminierung jüdischer Menschen etc.; seit einiger Zeit wird zudem die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Alters als Ageismus ›Altersdiskriminierung‹ bezeichnet. Doch während in Ageismus das englische Wort age recht schnell zu identifizieren ist, lässt sich able in Ableismus schwieriger isolieren: Es handelt sich hierbei um ein englisches Adjektiv mit der Bedeutung ›fähig, imstande‹, ausgesprochen [ˈɛɪ̯bəl]; Ableismus ist somit die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer körperlichen Fähigkeiten bzw. Einschränkungen.

Nun steht für das englische Ursprungswort ableism recht unproblematisch die korrekte Aussprache [‚ɛɪ̯bəlɪzm] fest. Versehen mit der deutschen Endung –ismus ist allerdings weniger klar, was mit dem ersten Teil des Wortes passiert: Spricht man diesen nun ebenfalls deutsch aus oder bleibt es bei der englischen Aussprache? Der Duden hilft und gibt an, dass das Wort Ableismus zum phonetischen Hybrid wird: Der erste Teil wird englisch, der zweite deutsch ausgesprochen, eben [ɛɪ̯bəˈlɪsmʊs].

Vom Substantiv Ableismus leitet sich das Adjektiv ableistisch ab. Hierin lässt sich eine weitere Schwierigkeit ausmachen, denn das Adjektiv erweckt den Eindruck einer Verwandtschaft mit dem deutschen Verb ableisten. Beides hat nichts miteinander zu tun, doch die formale Ähnlichkeit von ableistisch und ableisten – sie unterscheiden sich nur in ihrer Endung (und der Wortart) – führt dazu, dass ohne Wissen um die Bedeutung des Adjektivs ableistisch oder einen konkreten kontextuellen Hintergrund able-is-tisch (angelehnt an das Substantiv als [ɛɪ̯bəˈlɪstɪʃ] auszusprechen) zunächst als ab-leis-tisch [‚aplaɪ̯stɪʃ] (oder [apˈlaɪ̯stɪʃ?] wahrgenommen wird (wenngleich unklar sein dürfte, was hiermit gemeint ist) – mehr noch als bei Ableismus: So liegt es ferner, das Substantiv als Ab-leis-mus [‚aplaɪ̯smʊs] (oder [apˈlaɪ̯smʊs]?) zu lesen, da durch das bekannte Suffix –ismus die Lesart mit Diphthong weitgehend unterdrückt oder zumindest infrage gestellt wird.

Nun schreibt der Duden uns nicht vor, wie wir Wörter auszusprechen haben, sondern dokumentiert nur die aktuellen Gepflogenheiten; und so hat sich inzwischen auch eine deutsche Aussprachevariante des Wortes etabliert, nämlich [apleˈɪsmʊs] oder [apləˈɪsmʊs]. Dies ist jedoch in zweifacher Weise problematisch: Einerseits suggeriert das [apleˈɪsmʊs] ausgesprochene Wort eine Zerlegung in die Morpheme {ab}, {le} und {ismus}. Das Präfix ab- im Deutschen trägt zahlreiche Bedeutungen, die zumeist eine Distanzierung beinhalten, z. B. relational (abbuchen, ableiten), auch im Sinne von ›beenden‹ (absagen, abblasen) und dimensional in der Bedeutung ›nach unten‹ (abperlen, abrutschen). Ein Morphem {le} existiert hingegen nicht – und schon steht man wieder vor der Frage, wie das Wort korrekt zu deuten ist. Andererseits – und nimmt man Abstand von einer Wortzerlegung in die oben genannten Bestandteile – legt die deutsche Aussprache [apləˈɪsmʊs] (mit unbetontem Schwa-Laut statt e) nahe, dass es ein Wort oder einen Wortbildungsbestandteil im Deutschen gebe, der able (gesprochen [aplə]) lautet. Nun, ganz so weit von einem tatsächlich existierenden Wortbildungselement sind wir damit nicht: Zwar gibt es im Deutschen kein für sich selbst stehendes Adjektiv abel – dem englischen able entsprechend –, doch es gibt die Adjektivendung –abel, etwa in praktikabel, spendabel, reparabel, transportabel, rentabel, miserabel, akzeptabel etc. Diese besitzt eine passiv-modale Komponente und sagt aus, dass etwas geleistet werden kann, sie impliziert somit ebenfalls, zu etwas fähig bzw. imstande zu sein. Diese Endung haben wir aus dem Französischen entlehnt, wo sie wie im Englischen –able lautet – eine deutsche Entsprechung wäre in vielen Fällen -(ier)bar (praktizierbar, transportierbar, reparierbar, akzeptierbar etc.). Hieran anknüpfend steht nun die Frage im Raum, ob sich das Wort vielleicht irgendwann noch weiter vom Englischen emanzipiert und eine weitgehend deutsche Wortstruktur annimmt – also Abelismus, abelistisch. Freilich, hierfür müsste sich die deutsche Grammatik recht liberal erweisen, immerhin fungiert –abel bisher nur als Suffix, nicht als Präfix oder gar eigenständiges Wort. Die Frage nach der Bedeutung mag dadurch nicht einfacher zu klären sein oder gar noch eine erschwerende Komponente erhalten, schließlich existiert im Deutschen Abel bereits als Eigenname: einerseits als Familienname, andererseits als Bruder von Kain in der Bibel – so mag man sich künftig fragen, inwiefern diese Tatsache im Substantiv Abelismus zum Tragen kommt. Doch zumindest die Frage nach der Aussprache würde sich gar nicht erst stellen, und in der Tat: Ganz abwegig ist es nicht, anzunehmen, dass das Wort sich in dieser Weise entwickeln könnte; schließlich lautet auch das vom Namen der Suchmaschine Google abgeleitete Verb im Deutschen googeln (mit der Buchstabenfolge –el- wie in abel-), nicht googlen (mit -le- wie in able-).

Anders als viele frühere Zeit-Wörter scheinen die Fragen, die das vorliegende aufwirft, sich nicht weitgehend klären zu lassen. So bleibt unklar: Brauchen wir denn überhaupt ein Fremdwort, um Diskriminierung von Menschen mit Behinderung ausdrücken zu können, oder würde es im Zweifel schon reichen, das Wort Behindertendiskriminierung zu verwenden? Bei Letzterem sollte man sich jedoch bewusst sein, dass auch die Bezeichnungen behindert, Behinderte mitunter bereits als diskriminierend empfunden werden. Wir überlassen es Ihnen, diese Frage wie auch jene nach der optimalen Aussprache für sich zu beantworten.

Frauke Rüdebusch