Ausgabe: Der Sprachdienst 3/2015

Wieso lautet die Anrede nicht Herr und Dame?

[F] Ich frage mich seit langem, warum die Anrede im Deutschen Herr und Frau ist. Warum ist ein Mann höflicherweise ein Herr, aber die Frau bleibt eine Frau und wird nicht zur Dame? Das ist doch ungerecht und sollte im Sinne der Gleichbehandlung geändert werden.

@ CC-Lizenz

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[A] Gegen Ihr sprachliches Empfinden und das daraus resultierende Anliegen ist auf den ersten Blick sicher nichts einzuwenden. Allerdings zeigt ein tieferer Blick in die bisherige sprachliche Entwicklung, dass sich die Sache komplizierter darstellt.

Das Wort Frau war über viele Jahrhunderte hinweg das stilistisch gehobenere Wort; es trug die Bedeutung ›Herrin‹ und war damit dem Wort Herr ebenbürtig. Das ist bis heute in der Anrede erhalten geblieben und fest in der Sprache verankert.

In Wörterbüchern finden sich dafür eindeutige Belege: So war Frau (mittelhochdeutsch vrouwe, althochdeutsch frouwe = ›Herrin, Dame‹) die weibliche Form zu einem untergegangenen Substantiv mit der Bedeutung ›Herr‹, zum Beispiel im Altsächsischen froio = ›Herr‹ und (mit anderer Bildung) im Althochdeutschen fro ›Fron‹ (vgl. »Duden ‒ Das große Wörterbuch der deutschen Sprache«, 4. Aufl. Mannheim 2012).

Im »Etymologischen Wörterbuch« von Kluge (23. Aufl. Berlin 1995) wird dies bestätigt. Der Ausdruck Frau existiert demnach mindestens seit dem 9. Jahrhundert, als Bedeutung wird wiederum ‒ ›Herrin‹ angegeben. Zum von Ihnen favorisierten Ausdruck Dame ist dort zu lesen, dass er seit dem 16. Jahrhundert und früher verwendet wird und heute die Bedeutung ›vornehme Dame‹ trägt. Entlehnt wurde er aus it. dama, span. dama, franz. dame und geht ursprünglich auf das Wort domina = ›die Hausherrin‹ zurück.

Man sieht an diesem Beispiel sehr gut, dass es in der gegenwärtigen Sprache etliche Asymmetrien, also Ungleichheiten gibt, das heißt, ein historisch gewachsener Wortgebrauch zeigt sich aus heutiger Sicht nicht einheitlich und ist oft nicht nachvollziehbar. Übrigens haben auch Gerichte schon in dem dargestellten Sinne entschieden und sehen keine Diskriminierung durch die Anrede Frau. Man stelle sich auch nur die Wirkung der Briefanrede Liebe Dame Müller vor!