Armer Tropf
Die Redewendung, dass jemand ein »armer Tropf« sei, mag heutzutage etwas veraltet anmuten. Besonders häufig verwendet wird sie sicher nicht mehr, schon gar nicht von jüngeren Menschen, bei denen sich (je nach Milieuzugehörigkeit) in ähnlicher Bedeutung die Bezeichnung Opfer etabliert hat.
In bestimmten Lebensbereichen kann man dem Tropf – nicht unbedingt dem armen – dennoch weiterhin begegnen, so zum Beispiel im Krankenhaus, einem Ort, der sich ja über Jahrzehnte als unglaublich fernsehserientauglich erwiesen hat und somit die Wahrnehmung vieler Menschen prägt.
In einem Forumsbeitrag auf der Internetseite der Süddeutschen Zeitung fand sich nun aber ein Tropf ganz anderer Art. Das harsche Urteil eines Lesers oder einer Leserin zu einem Artikel lautete, etwas darin Berichtetes sei »so überflüssig wie ein Tropf«. Das Bild ist im Grunde und Wortsinne relativ nachvollziehbar und stimmig, denn Haupteigenschaft eines Tropfes ist schließlich, dass eine Flüssigkeit aus dem Tropf heraus und in einen Patienten hinein tropft. Wenn solches Tropfen aus dem Gleichgewicht gerät, ist es auch leicht vorstellbar, dass der Tropf »überfließt«, in gewisser Weise also überflüssig ist oder es zumindest dann wäre, wenn überflüssig in dieser Bedeutung verwendet würde.
Gleichwohl würden viele Menschen gegen diese Deutung zu Recht einwenden, dass hier wohl kaum eine neue, kreative, bildhafte Wendung zu bestaunen ist, sondern jemand den eigentlich beabsichtigten Ausdruck »überflüssig wie ein Kropf« um eine Winzigkeit, einen Buchstaben, verfehlt hat. Wirft man einen Blick auf eine herkömmliche Computer- oder Schreibmaschinentastatur, wird allerdings eines schnell klar: Es kann sich kaum um einen reinen Tippfehler handeln, denn die Tasten »k« und »t« liegen doch recht weit auseinander. Es scheint vielmehr so zu sein, dass das Wort Tropf vertrauter und passender erschien als das Wort Kropf. Man könnte zunächst vermuten, dass beide Wörter ähnlich häufig oder selten im aktiven Wortschatz der meisten Deutschsprechenden vorkommen.
Ob es nun aber an den Krankenhausserien im Fernsehen liegt oder an der Tatsache, dass das Krankheitsbild des Kropfes dank guter Jodversorgung hierzulande nicht mehr sonderlich präsent ist, jedenfalls scheint in der Redewendung der Tropf dem Kropf regelrecht den Rang abzulaufen, denn das eingangs zitierte Beispiel ist mittlerweile alles andere als ein Einzelfall. Eine Internetsuche ergab immerhin über eintausend Treffer, die sich auf die unterschiedlichsten Dinge bezogen, wie zum Beispiel das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, eine Nebenfigur in einem Dracula-Film, die anstehende Papstwahl nach dem Rücktritt Benedikts des XVI., die Beurteilung der Speisen in einem Berliner Gourmetrestaurant oder die Einschätzung einer teuren Armbanduhr, die da lautete: »[…] dieses Schlamützel ist überflüssig wie ein Tropf […].« Das Zitat bietet, was sprachliche Fehler angeht, auch noch andere Anknüpfungspunkte und ist somit keinesfalls überflüssig – weder wie ein Tropf noch wie ein Kropf.
Nicola Frank