Börger, Vurst und Kese
(K)ein Aufruf zum Regelverstoß
Üblicherweise werden an dieser Stelle korrekte Schreibweisen thematisiert – normgerechte Orthografie. Gewöhnlicherweise wird aber auch nicht die Verwendung von Ausdrücken verboten. Doch dafür hat sich das EU-Parlament am 9. Oktober 2025 entschieden. Wenn nun noch die 27 EU-Staaten zustimmen, dürfen Wörter wie Burger, Schnitzel und Wurst künftig nicht mehr für vegane oder vegetarische Alternativen für Fleischprodukte herangezogen werden. Das hätte Folgen. Zum einen für die Lebensmittel- und Gastrobranche, die nicht nur ihre Verpackungen und Speisekarten umschreiben und neu drucken lassen müssen. Zum anderen – einen Schritt davor – müssen sie kreativ werden und neue Bezeichnungen für ihre Produkte und Speisen erfinden. Hier ließen sich Fantasienamen wie Bratsel oder Umschreibungen wie Sojastange nutzen. Denkbar wäre wie bei Spam-Mails und zensurbedrohten Kommentaren auch die Verwendung von Leetspeak, bei der eine bewusste Falschschreibung gewählt wird, um der Filterung zu entgehen, z. B. S*x. Entsprechend ließe sich Börger, Schnjtzel, Vurst/VVurst und Kese gebrauchen, aber auch eine auf Vokale verzichtende Orthografie (vgl. FCK NZS) erscheint möglich, wie Brgr, Schntzl, Wrst und – eher schwierig erkennbar – Ks. Das würde passen, denn wo den Wörtern die Vokale fehlen, ›fehlt‹ es den veganen Schnitzeln an tierischem Eiweiß.
Eine der vielen veganen Marken – mit dem eigenwilligen Namen »The Vegetarian Butcher« – verfährt ganz ähnlich und benannte ihr alternatives Cordon bleu in Cordon Bleuff um. Und natürlich assoziiert man allzu schnell Dialekte (Wuast, Worscht) als möglichen Ausweg, doch ob Letztere vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung Bestand hätten, erscheint fraglich. Dies gilt auch für ›unterbrochene‹, apostrophierte Formen wie bei Pepperfect Chick’n (getilgtes, elidiertes e) sowie die linguistische ›Verschlüsselung‹ mittels IPA: ˈbøːɐ̯ gɐ, ˈʃnɪʦl̩, vʊʁst, – eine wohl kaum umsatzfördernde, aber immerhin ›normkonforme‹ Methode.
Welchen Weg die Hersteller gehen, wird spannend zu beobachten sein; der Startschuss wird jedoch kritisch begleitet. Einige befürworten die schon lange[1] geforderte Entscheidung, andere verurteilen sie mit dem Vorwurf der »Sprachzensur« von der »Sprachpolizei«; interessant ist an diesen Vorwürfen, dass sie bisher eher aus dem politisch rechten Spektrum kamen, etwa bei der Umbenennung von Straßen, die noch höhere Kosten verursachen (Schilder, Ausweise, Drucksachen etc.).
Bundeskanzler Friedrich Merz sagte bei Caren Miosga: »Eine Wurst ist eine Wurst. Wurst ist nicht vegan.« Das dürfte auch die französische EVP-Abgeordnete Céline Imart gedacht haben, die das Verfahren angestoßen hat: Es bestehe ein »echtes Verwechslungsrisiko«. Die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl argumentiert hingegen mit der »[A]lltäglich[keit]« von Bezeichnungen wie Veggie-Burger oder Tofu-Wurst: »Keine Landwirtin oder kein Landwirt hat dadurch am Ende mehr Geld in der Tasche.«[2] Aber darum mag es eben auch gegangen sein: die tierische Produkte erzeugende Landwirtschaft gegen den Trend zu unterstützen. Immerhin ist der Fleischkonsum von 60,9 kg pro Kopf im Jahr 2018 auf 51,6 kg 2023 zurückgegangen.[3] Es geht also doch um die Wurst.
[1] Vgl. hierzu und zu veganen Wörtern wie Fruchtfleisch oder Ochsenherz (Tomatensorte) und zum Sonderfall Milch den Beitrag von Frauke Rüdebusch, Es geht um die Wurst, in: Der Sprachdienst 1/2017, S. 58 ff. oder https://gfds.de/es-geht-um-die-wurst/.
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-parlament-fleischersatz-100.html.
[3] https://www.landwirtschaft.de/einkauf/lebensmittel/tierische-lebensmittel/schweinefleisch (BLE).
Torsten Siever

Zum Weiterlesen
In unserer Rubrik »Zeit-Wörter« haben wir uns schon einmal mit dem Thema vegane Wurst befasst. Diesen Artikel finden Sie hier: