Das Fugenelement

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[F] Gibt es eine logische Regel, wann welche Fugenelemente verwendet werden? So heißt es zum Beispiel Landtag, aber Bundestag, Lammfilet, aber Rinderfilet, Hofnarr, aber Friedhofsmauer. Gerade für jemanden, der Deutsch lernt, wäre es doch hilfreich, wenn es da eine Faustformel gäbe, nach der man sich pauschal richten kann.

[A] Das würden wir liebend gern pauschal beantworten, doch – Sie ahnen es sicher schon – das ist nicht möglich. Stattdessen ist die Frage, ob es bestimmte Regeln der Verwendung gibt, einerseits mit ja, andererseits mit nein zu beantworten: Ja, denn es gibt gewisse Laut-, Silben- und Wortbildungsstrukturen, die bestimmen, ob ein bzw. welches Fugenelement zu verwenden ist. Gleichzeitig aber nein, denn diese Muster und Regeln sind recht unüberschaubar und es gibt viele Ausnahmen, und so ist es für Deutschlernende in vielen Fällen einfacher, sich das Kompositum als Ganzes einzuprägen, als zu versuchen, es ad hoc mit dem korrekten Fugenelement zu bilden.

Das Fugenelement fungiert als Bindeglied zwischen den Bestandteilen eines Kompositums – einer Zusammensetzung aus zwei oder mehr Wörtern – und tritt in unterschiedlichen Formen auf, nämlich

e (Badetuch, Bad-e-tuch)
-s (Schönheitsideal, Schönheit-s-ideal)
-es (Tageslicht, Tag-es-licht)
-n (Deckenleuchte, Decke-n-leuchte)
-en (Präsidentenwahl, Präsident-en-wahl)
-er (Kinderwagen, Kind-er-wagen)
-ens (Herzenswunsch, Herz-ens-wunsch)
– ø (Haustür, Haus-tür)

Viele mutmaßen, beim Fugenelement handele es sich um eine Markierung des Genitivs im Singular oder Plural (etwa Bischofsmütze = die Mütze des Bischofs; Augenbraue = die Braue der Augen), doch dies trifft in vielen Fällen nicht zu (etwa Schwanenteich = der Teich der *Schwanen/Schwäne). Historisch hat sich das Fugenelement jedoch tatsächlich aus Flexionsendungen wie dem Genitiv-s entwickelt (z. B. des Tages Licht → Tageslicht, des Präsidenten Wahl → Präsidentenwahl). Doch auch wenn sie formal manchmal übereinstimmen, haben die Fugenelemente heute nicht mehr die Funktion von Flexionsendungen, sondern sind vor allem als Nahtstelle eines Kompositums zu betrachten, als Verbindungselement, das in vielen Fällen einer leichteren Aussprache dient.

Laut Duden (ebd.) weisen ca. 30 % aller Komposita ein Fugenelement auf. Während man bei manchen das Fugenelement keinesfalls weglassen kann und es nur eine korrekte Wortform gibt (Badetuch, Kinderwagen, Deckenleuchte), gibt es bei anderen verschiedene korrekte Varianten, von denen eine der Formen (oder sogar beide) oft einer Fachsprache oder einem Dialekt angehört und somit mit bestimmten Konventionen und Sprachgewohnheiten verbunden ist: Schadenersatz (fachsprachlich) vs. Schadensersatz (allgemeinsprachlich), Schweinsbraten (dialektal) vs. Schweinebraten (standardsprachlich), Bahnhofstraße vs. Bahnhofsstraße.

Nun ist Deutsch eine Sprache, die sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie schier unendliche Wortbildungsmöglichkeiten bietet (vgl. Dampfschifffahrtskapitänskajüten…; Rindfleischettiketierungsüberwachungs…). Nicht nur die Zahl der möglichen Kompositabildungen, sondern auch die Zahl der sie begleitenden Regeln zur Distribution der Fugenelemente steigt dadurch scheinbar ins Unermessliche. Für diejenigen, die trotzdem tiefer in die Materie eintauchen und sich von ihrer Komplexität überzeugen möchten, stellen wir hier gern einige dieser Regeln zusammen:

  • Bei Komposita mit verbalem Erstglied ist nur das Fugenelement –e möglich: Pflegefall, Leseecke – oder aber gar keines: Lesart, Hüpfspiel
  • Das Fugenelement –er tritt nur bei Neutra auf, die auch den Plural auf –er bilden: Rinderwahn, Lichterkette – oder aber es kommt keines vor: Rindfleisch, Lichtspiel

Viele der Regeln beziehen sich auf das Fugenelement –s, da dieses das häufigste ist:

  • Komposita mit Armut, Bahnhof, Liebe, Hilfe, Geschichte als Erstglied, haben im Allgemein ein Fugen-s: Armutszeugnis, Bahnhofsvorplatz, Liebesbeweis, Hilfsangebot, Geschichtsbuch – allerdings gibt es Ausnahmen: Hilfeleistung, Geschichtenerzähler, Liebenswürdigkeit, liebevoll
  • Ist das Erstglied des Kompositums ein substantivierter Infinitiv, wird das Fugen-s gesetzt: Schlafenszeit, Verbrechensbekämpfung
  • Endet das Erstglied auf ein Ableitungssuffix wie –tum, -ing, -ling, -heit, -keit, -schaft, -ung, -ion, -tät, -at, oder -um, wird ein Fugen-s gesetzt: Altertumskunde, Heringssalat, sensationslüstern, Mannschaftskampf, hoffnungsvoll, Museumsleiterin
  • Kein Fugen-s wird im Allgemeinen (auch hier gibt es Ausnahmen) gesetzt bei Komposita mit
    • einsilbigem femininem Erstglied: Nachtwächter, Jagdhund
    • femininem Erstglied, das auf -e, -ur- oder –ik endet: Wärmeleiter, säurefest; Kulturabgabe, Naturschutz; Musikfilm, kritikresistent
    • einem Neutrum als Erstglied, das aus einem Verb entstanden ist und auf –e endet: Gewerbeamt, Gemengelage
    • einem schwachen Maskulinum als Erstglied; stattdessen wird hier ein –en als Fugenelement verwendet: Bärentatze, Heldenmut, Philologenverband, Präsidentensuite
    • Erstgliedern auf -el oder –er: Pendeluhr, spindeldürr (aber: Engelshaar), Bäckerladen, Marterpfahl (aber: Henkersmahlzeit, Wandersmann)
    • Erstgliedern auf -sch, -[t]z, -s, -ß, -st: Platzkarte, Fleischgericht, blitzschnell, Blitzstrahl, Preisliste, Fußbett, Verdienstausfall, Herbstanfang

Den Komposita, die sich nach den oben genannten Regeln – im Allgemeinen – bilden lassen, stehen eine Vielzahl von Verbindungen gegenüber, bei denen der Gebrauch des Fugenelements schwankt. Im Zweifelsfall, so empfiehlt der Duden, sollte man sich nach der Bildung bekannter Komposita richten, die dasselbe Erstglied aufweisen.

Als wären diese Regeln nicht schon ausreichend, gibt es auch eine Reihe von Komposita, die sich nicht nach dem Erstglied, sondern nach dem Zweitglied richten:

  • Bei Komposita mit –steuer als Zweitglied ist durch eine behördliche Sprachregelung das Fugen-s in diesen Wörtern getilgt worden: Einkommensteuer, Grunderwerbsteuer, Vermögensteuer. In der Allgemeinsprache existieren die Varianten mit Fugenelement jedoch weiterhin (vgl. auch Schadenersatz vs. Schadensersatz)
  • Bei Komposita mit –straße als Zweitglied gibt es aufgrund des Anlauts bei –straße Schwankungsfälle: Bahnhofstraße oder Bahnhofsstraße, Friedenstraße oder Friedensstraße, Königstraße oder Königsstraße
  • Bei Komposita mit substantiviertem Verb als Zweitglied wird häufig (aber nicht immer) kein Fugen-s gesetzt: Hilfeleistung (aber Hilfseinsatz), Kriegführung (aber Kriegserklärung)
  • Bei Komposita mit einem Partizip als Zweitglied und einem Substantiv als Erstglied wird das Fugen-s häufig (aber nicht immer) weggelassen: verfassunggebend (oder verfassungsgebend), vertragschließend (oder vertragsschließend) (aber: kriegsentscheidend, staatstragend)

Natürlich gibt es nicht nur Komposita, die aus zwei Gliedern bestehen, sondern auch solche aus mehreren Gliedern. Bei diesen wird häufig – aber nicht immer – die Hauptfuge durch das Fugen-s gekennzeichnet: Friedhofstor (vs. Hoftor), Mitternachtsstunde (vs. Nachtstunde). Aber stets ohne Fugen-s: Fußballmeister, Kindbettfieber.

Je länger und unübersichtlicher ein Kompositum ist oder je fremder es erscheint, desto geneigter ist man, einen Bindestrich zu setzen, um das Wort besser erfassen zu können. In der Regel ersetzt ein Fugenelement jedoch einen Bindestrich, der sich damit erübrigt. Dennoch wird nicht immer auf ihn verzichtet, wenn es darum geht, mehrgliedrige Komposita übersichtlicher zu gestalten: Weltspartagsverlosung vs. Weltspartags-Verlosung; Stadtverwaltungsoberinspektorin vs. Stadtverwaltungs-Oberinspektorin. Bei Zusammensetzungen, die eine Abkürzung enthalten, wird hingegen immer ein Bindestrich gesetzt: Bauunternehmungs-GmbH.

Auch wenn wir die Eingangsfrage hiermit beantwortet haben dürften, gehen wir davon aus, dass dies noch keine wirkliche Hilfe für Deutschlernende darstellt und womöglich im Gegenteil zu noch mehr Verwirrung führt. Daher wiederholen wir noch einmal unseren Vorschlag: Versuchen Sie gar nicht erst, sich die Regeln im Einzelnen zu merken. Prägen Sie sich verschiedene Komposita ein und vertrauen Sie auf Ihr Sprachgefühl. Bei großer Unsicherheit gibt es immer noch die Wörterbücher – und bei Wörtern, die darin nicht zu finden sind, orientieren Sie sich an Komposita mit dem gleichen Erstglied, die in den Büchern verzeichnet sind.

Literaturempfehlung

Für diejenigen, die sich noch etwas eingehender mit Fugenelementen beschäftigen möchten, haben wir eine Literaturempfehlung:

Hartkamp, Sandra/Schneider-Wiejowski, Karina: »Die Regelkonformität in der Distribution von Fugenelementen. Eine korpuslinguistische Untersuchung neologistischer Substantivkomposita mit nominalem Erstglied«

Erschienen in unserer Zeitschrift Muttersprache 3/2010. Lesen Sie hier eine kurze Zusammenfassung und bestellen Sie bei Interesse eine Kopie des Artikels: