Eine bemerkenswerte Flussfahrt durch die Sprachgeschichte

Zum Buch


Kristin Kopf:
Das kleine Etymologicum. Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Sprache
Klett-Cotta, 2017
284 Seiten, ISBN: 978-3-608-91341-5

Etymologien veranschaulichen ideal die erhellende Sprachgeschichte des Deutschen: Eine kurzweilig-spannende Erkundung unserer Sprache, die zeigt, wie und warum sie sich verändert.

Wussten Sie schon:

  • Dass Tanten einmal Basen und Onkel Vetter gerufen wurden?
  • Dass fertig und führen von fahren abgeleitet sind?
  • Dass Zwieback und Biskuit mehr miteinander gemein haben, als Gebäck zu sein, und Kekse aus dem Englischen stammen?
  • Dass Deutsch mit Hindi verwandt ist?
  • Dass Teich und Deich einmal ein Wort waren?
  • Dass der Pariser Modeschöpfer Louis Réard auf die Bezeichnung Bikini verfiel, weil er das Kleidungsstück als »anatomische Bombe« sah: Er wählte das Wort, weil er sich eine explosive Wirkung davon erhoffte. Das war nicht unberechtigt, tatsächlich wurde der Bikini zu Beginn als skandalös und unsittlich wahrgenommen und gleich an vielen Stränden verboten.

Dr. Kristin Kopf setzt sich in ihrem populärwissenschaftlichen Werk Das kleine Etymologicum. Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Sprache anschaulich und unterhaltsam mit Phänomenen des Sprachwandels und der Sprachgeschichte auseinander, wobei ihr Fokus auf Herkunft und Bedeutung verschiedenster Wörter liegt. Eingebaut in die Rahmenmetapher der Schifffahrt, lotst Kapitänin Kopf die Leserinnen und Leser durch Stromschnellen und Untiefen der deutschen Sprache.

Das Werk in geschmackvollem Einband, das lose auf Kopfs seit 2007 veröffentlichten Blogartikeln basiert, besteht aus 23 Kapiteln, verfügt aber auch über einen ausführlichen Anhang mit Anmerkungen, Hinweisen zu den verwendeten Quellen, einem Literaturverzeichnis sowie einem Sach- und Wortregister. Direkt im Text zu finden sind immer wieder auflockernde Diagramme, Tabellen und Infoboxen. Auf den Innenseiten der Buchdeckel ist der Stammbaum der indogermanischen Sprachen abgedruckt.

Kopf präsentiert den Lesenden eine kleine Sprachgeschichte mit vielen spannenden Beispielen und fundierten, anschaulich vermittelten Informationen, die sie gehaltvoll darstellt. Die etymologischen Erklärungen widmen sich dabei nicht nur einzelnen Ausdrücken (wie beispielsweise Marmelade), sondern werden immer in weiteren Zusammenhängen dargestellt (dass in England marmelade und in Portugal marmelada nur Erzeugnisse aus einer einzigen Fruchtsorte sind und was es noch mit jelly, Gelee und jam auf sich hat). Dabei zeichnet sich der Schreibstil durch Humor und Lebendigkeit aus. Für die aufmerksamen Lesenden halten sich viele unterhaltsame, gelungene Sprachspiele versteckt, die auf vorhergehende Kapitel anspielen. Zum optimalen Verständnis empfiehlt es sich aus diesem Grund, das Buch chronologisch zu lesen.

Auch wenn das Werk sprachlich sehr gelungen ist, sollte der spezielle Umgang, den die Autorin in Bezug auf Personenbezeichnungen pflegt, angemerkt werden. Wenn keine konkreten Individuen gemeint sind, verwendet Kopf entweder die weibliche oder die männliche Form, wobei die Zuordnung per Zufall erfolgt. Gemeint sind aber immer alle Menschen. Es kann gewöhnungsbedürftig sein, stellenweise von Vorfahrinnen und Keltinnen zu lesen, schadet aber dem Inhalt keinesfalls.

Kopf gibt nicht nur einen Überblick über die Entwicklung der deutschen Sprache (z. B. zu Sprachstufen, Lautverschiebungen, Sprachräumen), auch zeigt sie viele Gemeinsamkeiten der deutschen mit anderen Sprachen wie beispielsweise dem Iranischen oder dem Keltischen auf. Hätten Sie vermutet, dass Rose und türkisch gül ›Rose‹ von demselben altiranischen Wort abstammen? Auch auf grammatische Phänomene geht die Autorin ein. So erfahren wir beispielsweise, warum es nicht Ängel (statt Engel), Kässel (statt Kessel) und Ältern (statt Eltern) heißt, dafür aber Gäste, Ärmel, länger – und was es mit dem Fall aufwändig/aufwendig auf sich hat. Für viele Lesende wird sicherlich auch neu sein, dass Endungen wie -lich, -bar und -sam früher eigenständige Wörter waren und wie ihre Entwicklung verlief.

Im Bereich der Semantik erhalten die Leserinnen und Leser u. a. Auskunft zu Farbbezeichnungen und deren Flexion (rosanes oder rosafarbenes Kleid), den Phänomenen der Verstärkung und Ausbleichung (Bombenstimmung, schrecklich lieb) und dem Bedeutungswandel der deutschen Verwandtschaftsbezeichnungen. Wussten Sie zum Beispiel, dass es früher zwei unterschiedliche Bezeichnungen für die Tante gab, je nachdem, ob es die Schwester der Mutter oder die Schwester des Vaters war?

Zusammenfassend legt Dr. Kristin Kopf ein sehr lesenswertes, kurzweiliges Buch vor, klug und witzig verpackt und geeignet für jeden, der sich für Wortherkunft und -bedeutung interessiert, egal ob mit sprachwissenschaftlichem Vorwissen oder ohne. Es sensibilisiert für unsere Sprache und weckt Neugierde, es bereitet Spaß beim Lesen und verursacht den einen oder anderen Aha-Effekt.

Annika Hauzel