Ausgabe: Der Sprachdienst 3-4/2021

Eine Gebrauchsanweisung für Bildungssprache

Buchinfo

Gerhard Augst
Der Bildungswortschatz. Darstellung und Wörterverzeichnis
Broschiert, 220 Seiten, ISBN: 978-3-487-08618-7, Georg Olms

Was verbirgt sich hinter Wendungen wie »den Rubikon überschreiten«, »Tantalusqualen erleiden« oder »die Gretchenfrage stellen«? Worin liegt der Unterschied zwischen »effizient« und »effektiv«? Ist ein Feinschmecker ein »Gourmet« oder ein »Gourmand«? Und was genau bedeuten eigentlich Wörter wie »apodiktisch«, »insinuieren«, »volatil« oder »Subsidiarität«, ohne die keine politische oder wissenschaftliche Diskussion
auskommt?

Das Buch von Gerhard Augst leistet hier Abhilfe: Es stellt diesen Wortschatz zunächst systematisch vor und erläutert dann über 2 000 Wörter und Wendungen in alphabetischer Reihenfolge.

Wer wollte nicht immer schon wissen, welche mythologische Geschichten sich hinter den berüchtigten Trojaner-Viren oder der sprichwörtlichen Sisyphusarbeit verbergen? Wann sich jemand parzivalhaft, wann faustisch verhält? Und was man denn nun eigentlich fragen muss, um die berüchtigte Gretchenfrage zu stellen? All diesen Wendungen widmet sich Gerhard Augst in seinem Buch Der Bildungswortschatz. Als gelungene Symbiose aus Wörterbuch und Sachbuch hat der Autor mit der im Januar 2020 in der 6. Auflage [seit Kurzem in der 7. Auflage erhältlich, Anm. d. Red.] erschienenen Publikation ein nützliches Werk geschaffen, das in keinem Regal fehlen sollte.

Die Motivation des Professors für Germanistische Linguistik, sich näher mit Bildungssprache zu beschäftigen und ihren Geltungsbereich zu bestimmen, war denkbar simpel: Die Studierenden in seinen Seminaren beklagten sich über mangelndes Verständnis der Unterrichtslektüre und legten sogar eigene Glossare für bestimmte Wendungen und Begriffe an. Ganz klar: Die Bildungssprache bestimmt das universitäre Umfeld und den wissenschaftlichen Diskurs, wenn es auch große Unterschiede zwischen Geistes- und Naturwissenschaften gibt. Sie ist die gemeinsame Sprache der Akademiker/-innen. Wer sie nicht beherrscht, kann an der Hochschule kaum bestehen. Doch geht es bei ihrer Verwendung etwa nur darum, Dinge kompliziert auszudrücken, die man auch einfacher sagen könnte? Mitnichten, so kann Augst zeigen. Neben einem Blick hinter die Kulissen des Begriffs Bildungssprache (Teil 1) gibt er seiner Leserschaft ein Glossar häufiger bildungssprachlicher Begriffe an die Hand (Teil 2).

In Teil 1 beschäftigt er sich auf unterhaltsame und verständliche Weise mit den Fragen, was Bildungssprache von Alltagssprache unterscheidet, ob sie sich im Laufe der Zeit verändert hat oder sich gerade im Wandel befindet und in welchen Texten man sie vermehrt antrifft. Dem Aufbau der Bildungssprache nähert sich Augst wissenschaftlich: Mithilfe einer Korpusrecherche (einer Untersuchung von Textsammlungen) geht er der Frage nach, in welchen Medien wir nach Bildungssprache suchen müssen. Rechnet man alle bildungssprachlichen Begriffe auf die Gesamtzahl der Wörter in einem Text hoch, so ergeben sich enorme Unterschiede, beispielsweise zwischen dem Feuilletonteil der ZEIT und der Apotheken-Umschau. Schließlich geht es in diesem Teil darum, wie Bildungswörter eigentlich aufgebaut sind; so werden Substantive häufig mit den Nachsilben –ismus oder –tion gebildet.

Kapitel 2 und 3 widmen sich dem klassischen und dem modernen Bildungswortschatz. Der klassische Bildungswortschatz (Kap. 2), der in den Geisteswissenschaften noch längst kein alter Hut ist, speist sich überwiegend aus griechischem, lateinischem und französischem Sprachgut und geht neben der Mythologie und Philosophie auch auf die Bibel, auf literarische Werke und sogar auf Märchen zurück. Augst zerlegt die klassische Bildungssprache kurzerhand in ihre Einzelteile und beschreibt unter anderem native und fremdsprachige Pluralbildung, wie bei Kommas und Kommata, oder verschiedene zugelassene Schreibweisen für Wörter, wie Mayonnaise und Majonäse (inzwischen wieder von der Liste gültiger Schreibungen gestrichen; vgl. Dennis Nikolas Pauly, Quo vadis, Rechtschreibrat? Entscheidungen im Bereich der Fremdwortschreibung als Indikator für revisionistische Tendenzen?!, in: Muttersprache 128, 3/2018, S. 292–307 [Anm. d. Red.]). Besonders hilfreich ist eine Übersicht zur Bedeutung ähnlich lautender Begriffe, die häufig Verwechslungen auslösen (fachsprachlich Paronyme), wie empathisch und emphatisch.

Kapitel 3 beschreibt schließlich einen neuen, veränderten Bildungswortschatz, der weiter verbreitet ist. Dieser konnte entstehen, weil immer mehr Menschen das Gymnasium oder eine Hochschule besuchen und die technische Revolution Möglichkeiten geschaffen hat, sich Wissen ganz einfach selbst anzueignen. Da seit dem 20. Jahrhundert die Welt durch die Digitalisierung und Industrialisierung mehr und mehr von Naturwissenschaft und Technik geprägt ist, befindet sich die klassische Bildungssprache bis auf einige sichere Nischen auf dem Rückzug. Latein und Griechisch haben als Schulsprachen ausgedient; Englisch ist für die meisten die erste erlernte Fremdsprache. All das schlägt sich auch in einem neuen Bildungswortschatz nieder. Er bedient sich der Fachterminologie aus der Wissenschaft, die oft auch auf Alltagsgeschehen übertragen wird, so zum Beispiel beim In- und Output oder der Deduktion.

Ungemein nützlich ist der zweite Teil des Buches, der ein alphabetisch sortiertes Wörterverzeichnis mit ca. 2 500 bildungssprachlichen Begriffen und Wendungen auf der Grundlage von Zeitungen und Zeitschriften sowie wissenschaftlichen Texten enthält. Mit dieser geballten Sammlung der häufigsten bildungssprachlichen Wendungen bleibt kein Kreuzworträtsel ungelöst und kein Feuilleton-Artikel wirft mehr Fragen auf. Als zusätzliches Goodie liefert das Buch die häufigsten lateinischen und griechischen Vor- und Nachsilben sowie englische, lateinische und französische Redewendungen und Sprichwörter. Auch nach dem Auslesen hat es deshalb lange nicht ausgedient, sondern kann immer wieder als Nachschlagewerk herangezogen werden.

Insgesamt schafft Augst es nicht nur, eine eigene wissenschaftliche Studie und Eingrenzung des Bildungswortschatzes für interessierte Nichtwissenschaftler/-innen aufzubereiten, sondern bietet auch der akademisch vorgebildeten Leserschaft ein immenses Lesevergnügen, spannende Erkenntnisse und ein strukturiertes Übersichtswerk.


Theresa Schweden
Westfälische Wilhelms-Universität
Münster