2. Juli 2024
In der Politik ist Ballhöhe gefragt: Die Fußballsprache wird nicht nur auf dem Platz gesprochen
Fast scheint es so, als würde nicht nur in den Fußballstadien gekickt, sondern auch in der Politik – jedenfalls, wenn man es einmal sprachwissenschaftlich betrachtet: Sportsprachliche Metaphern haben sich schon lange in vielen Bereichen unseres Lebens durchgesetzt, im Alltag, in der Werbung, sogar in der Kulturberichterstattung. Doch warum sind die Bilder der Fußballsprache gerade in der Politik und im Politikjournalismus so beliebt?
Eine Antwort darauf gibt Rolf Paar: Er hat erforscht, dass sich gewisse Strukturen »wunderbar für eine Übertragung in andere Lebensbereiche« eignen. »Das Spiel ist überschaubar, die Regeln sind vergleichsweise einfach, die eigene Mannschaft und der Gegner sind klar voneinander zu trennen«, stellt er in einem Interview mit der Welt vom 15.06.2024 fest. Dort beschreibt er, wie Fußball-Metaphern passenderweise von Politikern und Politikerinnen genutzt werden – oder auch schräg wirken können. Als Beispiel für geglückte Metaphern nennt er eine Rede der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sie 2006 auf dem CDU-Parteitag hielt und in der sie das Gesagte am Ende mit »Bildern aus der Fußballwelt« (ebd.) zusammenfasste: »[… ]sie bezeichnete sich als Teamchefin, sie sprach von Toren und Chancen.« Diese letzten Sätze ihrer langen Rede seien dann später überall zitiert und gesendet worden, und Parr bezeichnet die Fußballbilder in ihrer Rede als stimmig.
Mal gelingt die Metapher – und mal geht sie schief
Als Beispiel einer sprachlich etwas unglücklichen metaphorischen Äußerung nennt Parr das liberale Urgestein Rainer Brüderle: Dieser reagierte auf den ehemaligen FDP-Politiker Philipp Rösler, der sich 2011 auf dem FDP-Parteitag als Vorsitzender durchsetzte und danach von einer »richtigen Aufstellung« sprach. »Sein Vize Rainer Brüderle stand daraufhin unter dem Druck, im Fußballbild zu bleiben, und sagte, Rösler sei der Kapitän der Mannschaft, er selbst bilde die Sturmspitze, die vorn die Tore schießen müsse. Der alternde Politiker als Stürmer – mit diesem schiefen Vergleich […]« habe sich die FDP den Spott der Presse eingehandelt.
Im politischen Wettbewerb, in dem es darum geht, zu überzeugen und die Gunst der Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, haben Sportmetaphern und Vergleiche noch eine andere Funktion: Simon Meier-Vieracker hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich politischer Wettbewerb so »ganz im Zeichen des Spielerischen inszenieren lässt«. So werde etwa in parlamentarischen Reden »die sprichwörtliche rote Karte gerne gezeigt oder wenigstens angedroht«, was seinen Recherchen zufolge im Bundestag erstmals am 04.09.1985 der Fall gewesen ist. Besonders das Substantiv Ball eigne sich für eine Reihe von Metaphern. »Den Ball zurückspielen heißt hier häufig, um diskursive Verantwortlichkeiten zurückzugeben oder auch um Kritik zurückzugeben. Den Ball aufnehmen hingegen wird verwendet, um in einer Art von Diskurskohärenz von anderen eingebrachte Themen fortzusetzen, und umgekehrt werden Kooperationsangebote aller Art gerne als den Ball zuspielen beschrieben. Schließlich ist auch am Ball bleiben eine beliebte Metapher, um Beharrlichkeit zu beschreiben und vor allem zu fordern.«
Weitere Metaphern rund um den Ball nennt Rainer Küster (2009): »Wer im politischen Kontext aufgefordert wird, eine Thematik nicht über Gebühr zu gewichten, soll den Ball flach halten. Wichtig scheint es, dass man als Politiker stets mit den aktuellen Problemen der Gesellschaft vertraut ist und möglichst auch Lösungsvorschläge bereithält, dass man sich dementsprechend immer auf Ballhöhe befindet.«
Ein Heimspiel ist, wenn man jeden Ball verwandelt
Natürlich werden weitere Bilder aus der Fußballsprache ebenfalls gern verwendet, und es fällt auf, wie leicht verständlich diese Metaphern sind, ohne dass der politische Inhalt verdeutlicht werden muss: »Wer im Wahlkampf im angestammten Wahlkreis auftritt, hat dort ein Heimspiel. Wenn es ihm gelingt, die öffentliche Beachtung eines Konkurrenten erheblich zu schmälern, so stellt er ihn ins Abseits. Er kann diesen Konkurrenten auch in eine Falle locken, ihn auflaufen lassen. Wenn er dabei einen Fehler macht, sagt man ihm nach, er habe ein Eigentor geschossen.« (Ebd.) Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass Untersuchungen zufolge Metaphern aus der Fußballsprache statistisch häufiger in Textsorten auftauchen, die tagespolitische Ereignisse kommentieren. »Für die Autoren liegt der Vorteil darin, dass durch den Gebrauch von Sportmetaphern komplexe politische Konstellationen als scheinbar einfach strukturiert beschrieben werden, dass auch Handlungsstrategien begründet werden können, ohne dass der Autor dies auf der eigentlichen, nämlich der politischen Ebene begründen müsste. Er kann sich darauf verlassen, dass seine Gesprächspartner etwas verstehen, jedenfalls in dem Maße, wie ihnen die sportlichen Zusammenhänge vertraut sind.« (Ebd.: 77)
Die Fußballsprache reicht dabei nicht nur in die Politik hinein oder in die Politikberichterstattung, sondern in alle Verästelungen des gesellschaftlichen Lebens. Wegen der großen Beachtung, die der Fußball in unserer Gesellschaft erfährt, dringen sportsprachliche Metaphern auch in unsere Standardsprache ein, erweitern und verändern diese. Oft werden solche Ausdrücke dann zu festen Wendungen und metaphorischen Redensarten.
Quellen
Fasel, Andreas: »Warum Politiker schräge Fußball-Metaphern nutzen.« Welt-Interview mit Rolf Parr, 15.06.2024, https://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article129045933/Von-Tor-bis-Graetsche-Warum-Politiker-schraege-Fussball-Metaphern-nutzen.html (Stand 17.06.2024).
Küster, Rainer: »Metaphern in der Sportsprache.« In: Armin Burkhardt/Peter Schlobinski (Hgg.): Flickflack, Foul und Tsukahara. Der Sport und seine Sprache, Mannheim 2009 (= Duden, Thema Deutsch, Band 10), S. 60–79.
Meier-Vieracker, Simon: Fußballmetaphern in der Politik. 2020, https://fussballlinguistik.de/2020/11/fussballmetaphern-in-der-politik/ (Stand 25.06.2024).