Ausgabe: Der Sprachdienst 1/2019

Gelbwesten

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Seit einigen Wochen machen in den Nachrichten die Gelbwesten von sich reden. Die Gelbwesten-Bewegung – auch Gelbwesten-Proteste – ist eine Protestbewegung, die überwiegend in Frankreich agiert, deren Demonstrationen aber auch schon nach Belgien und teilweise in die Niederlande übergegriffen haben. Die Gelbwesten – so genannt aufgrund der gelben Warnwesten, die die Protestierenden als Erkennungszeichen tragen – lehnen sich gegen eine in Frankreich geplante höhere Besteuerung fossiler Brennstoffe auf, die Präsident Macron im Zuge der Energiewende einführen will. Dabei erheben sie nicht nur ihre Stimme: Ihre Demonstrationen sind stets von gewalttätigen Krawallen begleitet.

Uns geht es hier natürlich nicht um die politische Seite der Bewegung, sondern um die linguistische: um die Bezeichnung Gelbwesten. Was dahintersteckt, scheint ganz offensichtlich: Die Gelbwesten heißen so, weil sie gelbe Westen tragen. Doch hier beginnt das Wort schon, sich von der Summe der Bedeutungen seiner Einzelteile zu lösen, denn nicht das Kleidungsstück selbst – die gelbe Weste – wird, wie man meinen müsste, als Gelbweste bezeichnet, sondern die Menschen, die sie tragen. Es zeigt sich wieder einmal, dass Komposita ganz unterschiedlich zu interpretieren sind und oftmals nicht aus der Kombination der Bedeutungen ihrer Bestandteile auf die Gesamtbedeutung geschlossen werden kann. So ist Rotkäppchen kein rotes Käppchen, sondern ein Mädchen mit einem roten Käppchen. Ein Schweineschnitzel ist aus Schweinefleisch, ein Jägerschnitzel jedoch nicht aus Jägerfleisch; in einem Erdbeerkuchen stecken Erdbeeren, in einem Hundekuchen aber keine Hunde. Auch die Liste der Komposita mit Farbadjektiven, deren Bedeutung nicht aus den einzelnen Bestandteilen erschlossen werden kann, lässt sich beliebig weiterführen: Grünschnabel ›junger, unerfahrener, aber oft vorlauter Mensch‹, Blaubart ›Frauenmörder‹, Schwarzseher ›Pessimist‹, Blaustrumpf ›Polizeidiener‹, Schwarzfahrer ›jemand, der ohne Fahrschein fährt‹ … Und schließlich hat nicht nur die Gelbweste eine über das Verständnis ›gelbe Weste‹ hinausgehende Bedeutung, auch eine weiße Weste bezeichnet nicht unbedingt ein weißes Kleidungsstück: Vielmehr weist sie darauf hin, dass ein Mensch mit weißer Weste nichts getan hat, was rechtlich nicht einwandfrei wäre.

Interessant ist das Wort Weste selbst: Es wurde vom französischen veste übernommen, das ein ›ärmelloses Wams‹ bezeichnet; dieses geht zurück auf italienisch veste zu lateinisch vestis mit der ursprünglichen Bedeutung ›Kleid, Gewand‹. Nebenbei bemerkt: Ein Wams (zu altfranzösisch wambais, mittellateinisch wambasium, griechisch pámbax) ist ein langes, eng anliegendes Oberbekleidungsstück für Männer, im Mittelalter bezeichnete es das unter der Rüstung getragene Untergewand der Ritter. Auf das Wort pámbax geht auch der Bombast zurück, etwas Aufgebauschtes, ursprünglich ein Stoff zum Auswattieren von Jacketts; die Wurzeln beider Wörter – Wams und Bombast – liegen im Persischen: panbah ›Baumwolle‹. Ausgestorben ist das Wort Wams übrigens noch nicht: Landschaftlich soll es noch immer für ›Jacke‹ gebraucht werden.

Das bringt uns zurück zu jener Jacke ohne Ärmel, zur Weste: Zwar hat sie mit veste französische Ursprünge, doch heute ist in Frankreich eine veste eine ›Jacke‹ – Weste heißt dort gilet. Somit heißen die Gelbwesten in ihrem Ursprungsland Gilets jaunes. Das Kleidungsstück Gilet gibt es übrigens auch im deutschen Sprachraum: Es handelt sich um ein ärmelloses Obergewand (insofern eine Weste) für Männer, das noch heute in Altbayern, Österreich und der Schweiz unter diesem Namen verbreitet sein soll. Fragen wirft die Bezeichnung Weste dann auf, wenn sie nicht für eine ärmellose Jacke verwendet wird, sondern für eine Strickjacke – davon sprechen zum Beispiel die Saarländer. Eine ärmellose Jacke ist für sie allerdings auch eine Weste. Dass sich im Saarland zwei Kleidungsstücke – für den Rest das Landes etwas verwirrend – eine Bezeichnung teilen, liegt wohl an der räumlichen Nähe zu Frankreich: Dort ist eine veste schließlich auch eine Jacke.

Auch das Farbadjektiv gelb ist ein altes Wort, im Gegensatz zu Weste hat es jedoch althochdeutsche Wurzeln. Noch im Mittelhochdeutschen lautete das Adjektiv gel – daran erinnert das alte Kinderlied »Backe, backe Kuchen«, in dem es heißt »Safran macht den Kuchen gel«; nachdem sich wohl Generationen gefragt haben, was gel eigentlich bedeutet, ist endlich das Rätsel gelöst … Das b stammt aus der gebeugten Form des Adjektivs, im Mittelhochdeutschen gelw- (eine »gelwe« Weste) ; schließlich verfestigte es sich auch in der ungebeugten Form, woraus das Adjektiv gelb entstand. Die ursprüngliche Bedeutung ist ›glänzend, schimmernd‹ – wie sollte man diese Farbe auch anders beschreiben?!

Wie Rüstungen glänzen und schimmern auch die von den Gelbwesten getragenen gelben Westen. Wie glänzend die Aussichten auf Erfolg durch die Proteste, Krawalle und Demonstrationen sein werden, dürfte sich in den kommenden Wochen zeigen.

Frauke Rüdebusch

Nachtrag:

Inzwischen (Stand: Februar 2019) sind die Gelbwesten-Proteste auch in Deutschland angekommen. Interessant ist, dass sie sich vom Anliegen der originalen, in Frankreich entstandenen Gelbwesten-Bewegung gelöst haben: Weder wird gegen die höhere Besteuerung fossiler Brennstoffe demonstriert, noch gehen sie (bisher und zum Glück!) mit größeren Krawallen und Ausschreitungen einher. Die Gelbwesten, die hierzulande gesichtet werden, demonstrieren mehr oder weniger friedlich gegen das Diesel-Fahrverbot oder gegen Rassismus. Damit verleihen sie der ganzen Bewegung eine neue Bedeutung: Durch das Tragen der Westen identifizieren sie sich als Protestler, als Teilnehmende an einer (beliebigen) Demonstration. Nicht mehr und nicht weniger.

So mancher Bauarbeiter oder Fahradfahrer sollte nun vielleicht in Erwägung ziehen, die gelbe Sicherheitsweste gegen eine orangefarbene zu tauschen, um der Gefahr einer Verwechslung zu entgehen.