Ausgabe: Der Sprachdienst 3-4/2021

Generisch

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Haben Sie bei diesem Wort direkt ein weiteres im Kopf? Vielleicht eine Verbindung, die gegenwärtig sehr häufig zu hören, dabei jedoch sehr umstritten ist? Die Rede ist natürlich vom generischen Maskulinum, einem zentralen Schlagwort in der Debatte um eine gendergerechte Sprache.

Wie stets an dieser Stelle bietet jedoch die Diskussion um einen aktuellen Sachverhalt nur den Aufhänger, uns in dieser Rubrik mit jenen Ausdrücken zu beschäftigen, die uns in diesem Hinblick immer wieder begegnen, deren Hintergrund aber vielleicht gar nicht näher bekannt ist. Dies wird also keine Streitschrift für oder wider das generische Maskulinum (oder auch das vereinzelt propagierte generische Femininum), sondern eine Betrachtung des Wortes generisch – natürlich auch hinsichtlich seiner Verbindung mit Maskulinum und Femininum.

Unter dem Adjektiv generisch versteht man, dass etwas allgemeingültig ist, sich also nicht auf etwas Spezifisches bezieht, sondern sich auf eine ganze Gattung bzw. Menge anwenden lässt. In der Sprachwissenschaft spricht man also von generisch, wenn ein Wort zwar eine bestimmte, z. B. männliche Ausdrucksseite hat, die Inhaltsseite jedoch weiter, allgemeingültiger gefasst ist und nicht nur etwas Männliches bezeichnet. Auf die aktuelle Diskussion bezogen bedeutet das: Die Eigenschaft des generischen Maskulinums ist es, dass ein Wort als Maskulinum, also in grammatisch männlicher Form erscheint, sich dabei aber nicht allein auf das männliche (natürliche) Geschlecht beziehen, sondern allgemeingültig verstanden werden und alle Geschlechter umfassen soll. Im Satz »Wir holen Brötchen vom Bäcker« kann der Bäcker also genau genommen auch eine Bäckerin sein, im Satz »Die Schüler haben Sommerferien« ist nicht nur für die Jungen, sondern auch für die Mädchen schulfrei.

Im Fokus der Kritik am generischen Maskulinum steht die Frage, wie es möglich sein soll, auch eine Referenz auf weibliche Personen in einem sich in erster Linie auf männliche Personen beziehenden Ausdruck zu erkennen (z. B. Lehrer). Als Gegenpol gilt das generische Femininum: Dies ist eine mit dem explizit weiblichen Suffix -in markierte Bezeichnung, die jedoch eine allgemeingültige, alle Geschlechter umfassende Bedeutung haben soll, ohne spezifisch und ausschließlich das weibliche Geschlecht zu referieren (z. B. Lehrerinnen). Oben genannte Sätze im generischen Femininum lauten also folgendermaßen: »Wir holen Brötchen von der Bäckerin« (die nach dem Prinzip des generischen Femininums auch ein Mann sein kann) und »Die Schülerinnen haben Sommerferien« (wobei auch die Jungen schulfrei haben). Das generische Femininum wird nahezu nicht verwendet und hat deutlich weniger Befürworter, was einerseits daran liegen mag, dass dies eine »Erfindung « der jüngeren Zeit ist, während das generische Maskulinum schon seit Jahrhunderten verwendet (jedoch erst seit einigen Jahrzehnten kritisiert) wird – andererseits ist diese Umkehr des »Mitmeinens« (oder eben »Nichtmitmeinens«) pure Provokation, um damit auf entsprechend wahrgenommene bzw. herrschende Missstände aufmerksam zu machen.

Das Adjektiv generisch gehört zu einer Wortfamilie, die auch solche Wörter umfasst, die man auf den ersten Blick vielleicht gar nicht miteinander in Verbindung gebracht hätte. Zentral ist das Verb generieren: Es stammt vom lateinischen generare mit der Bedeutung ›erzeugen, hervorbringen‹ und wird vor allem bildungs-, aber auch fachsprachlich verwendet (z. B. im IT-Bereich: Das System generiert Fehler; der Algorithmus generiert Adresslisten etc.). Aber auch Sprache wird generiert, in diesem Sinne erzeugt; nach dieser Eigenschaft benennt sich die sogenannte generative Grammatik (fest verknüpft mit dem Namen ihres Begründers Noam Chomsky), ein Oberbegriff für verschiedene Grammatikmodelle, nach deren Regelsystem sich die Sätze einer Sprache generieren lassen. Auch das Adjektiv generativ gehört also in die Wortfamilie um generieren. Neben seiner Bedeutung in der Sprachwissenschaft hat es eine weitere in der Biologie, nämlich ›die geschlechtliche Fortpflanzung betreffend‹: Durch generatives Verhalten generieren sich Lebewesen sozusagen selbst.

Lebewesen (und nicht nur diese) benötigen bekannterweise die Möglichkeit der Erholung und Erneuerung. Hier kommt das Verb regenerieren ins Spiel, im Sinne von ›erneuern, mit neuer Kraft versehen; neu entstehen, sich neu bilden; wiederherstellen‹. Auch dieses Wort beruht auf der Eigenschaft des Erzeugens, hier also des Wieder-Erzeugens, Neu-Erzeugens.

Hieran schließt sich sehr naheliegend ein weiteres Wort aus der Wortfamilie an: Aus der Eigenschaft von Lebewesen, sich generativ fortzupflanzen, ergibt sich jeweils eine neue Generation. Das Wort geht zurück auf lateinisch generatio ›Zeugung(sfähigkeit)‹, zugrunde liegen generatum ›generativ‹ und generare ›generieren‹. Ganz allgemein und bezogen auf die Eigenschaft von Lebewesen, sich quasi aus sich selbst hervorzubringen, bezeichnet das Wort Generation also zunächst die einzelnen Glieder der Geschlechterfolge, z. B. Großeltern, Eltern, Kinder etc. Darüber hinaus spricht man bei Menschen einer Altersstufe, die oftmals eine ähnliche soziale Orientierung und Lebensauffassung verbindet, von einer Generation (die 68er-Generation, Generation Y). Auch als Zeitraumangabe wird das Wort Generation verwendet, sie umfasst laut Duden die ungefähre Lebenszeit eines Menschen, wird aber gemeinhin eher als eine Spanne von ca. 30 Jahren verstanden, also einem Zeitraum, nach dem die Menschen sich sozusagen »selbst erneuern«, d. h. fortpflanzen; und letztlich dient es im Bereich der Technik dazu, eine bestimmte Entwicklungsstufe zu benennen (ein Prozessor der dritten Generation).

Weitestgehend dem biologischen Bereich zuzuordnen ist auch das Generikum: Dies ist ein Medikament, das aus denselben Wirkstoffen wie ein anderes, in der Regel namhaftes Medikament erzeugt wurde: Es ist damit ebenso wirksam, jedoch zumeist um einiges günstiger als das Markenarzneimittel.

Auch das Wort Genus ist im weiteren Sinne Teil der Wortfamilie um generieren, wenngleich ihm mit gignere ein anderes lateinisches Verb zugrunde liegt, das jedoch ebenfalls als ›hervorbringen, erzeugen‹ zu deuten ist. Hier schließt sich der Kreis zum Ausgangswort generisch, denn sprachwissenschaftlich bezeichnet das Genus das grammatische Geschlecht, also die drei Klassen, in die Substantive im Deutschen eingeteilt und nach denen auch Adjektive, Artikel und Pronomen dekliniert werden: maskulin, feminin, neutral. Es steht damit im Gegensatz zum Sexus, dem natürlichen Geschlecht. Oft zitiert (»Genus ist nicht Sexus«) ist dieses Wort damit wie generisch ein Schlagwort der Diskussion um eine gendergerechte Sprache.

Kommen wir also zurück zu dem Wort, das uns heute so häufig begegnet: Tatsächlich stellt das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (www.dwds.de) fest, dass das Adjektiv generisch erst seit etwa 1980 in der Allgemeinsprache gelegentlich gebraucht wird, also zu einer Zeit, als geschlechtergerechtes Formulieren erstmals in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte. Doch erst seit 2016, als die Debatte gesamtgesellschaftlich entbrannte, nahm seine Verwendung exponentiell zu. In höheren Bildungsschichten dürfte es kaum jemanden geben, der es noch nie gehört, vielleicht sogar verwendet hat. Aber weiß auch jeder (Achtung, generisches Maskulinum), der es verwendet, was es bedeutet und welch bekannte Verwandte es hat? Das dürfen zumindest diejenigen von sich behaupten, die diesen Text bis hierher gelesen haben.

Frauke Rüdebusch

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