April 2022

Generisches Maskulinum eine historisch junge Konvention des Sprachgebrauchs?

Weit verbreitete These sprachwissenschaftlich widerlegt

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Die Sprachwissenschaftler Eva Trutkowski (Leibniz-Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft Berlin) und Helmut Weiß (Institut für Linguistik an der Goethe Universität Frankfurt) zeigen in der von ihnen durchgeführten ersten empirisch fundierten Untersuchung zum historischen Sprachgebrauch, dass dem nicht so ist. Um die Frage nach dem Alter des generischen Maskulinums zu klären, haben die Verfasser allgemeine Personenbezeichnungen (Gast, Nachbar, Freund, Lügner) näher untersucht. Sie weisen nach, dass das generische Maskulinum seit dem Althochdeutschen belegt und im Grammatiksystem des Deutschen verankert ist. Sie können zeigen, »dass die Generezität maskuliner Nomina, also die Möglichkeit, geschlechtsabstrahierend zu interpretieren, entgegen einer weitverbreiteten Ansicht seit althochdeutscher Zeit belegt ist und nicht auf soziale Bedingungen (z. B.) die Tatsache, dass Frauen in sog. Männerdomänen Einzug gehalten haben) zurückgeführt werden kann« (Trutkowski/Weiß 2022a: 35). Damit können die Zweifel am Alter des generischen Maskulinums nach Meinung der Autoren als widerlegt angesehen werden. Was dies für die Genderlinguistik und genderbewusste Sprache bedeutet, formulieren die Verfasser in einem provokanten Beitrag für die WELT so: Die »sogenannte gendergerechte Sprache« ist mittlerweile »in allen großen Institutionen und Unternehmen angekommen. Doch anstatt einer Machtverschiebung zugunsten von geschlechtermäßig Marginalisierten zu dienen, erscheint sogenannte gendergerechte Sprache immer mehr als funktionales Pride-Design für Sprache: fernab der sprachlichen Realität, auf Internetseiten von Unternehmen, die sich dadurch ›pinkwashen‹ und entsprechend ›awareness‹ signalisieren wollen, aber bis zum Hals im Gender-Pay stecken, in perfekt inszenierten, sich um die ›richtige‹ gesellschaftliche Positionierung bemühenden Beiträgen von Journalisten und Politikern, in Behördenbriefen, deren Verfasser Inklusion suggerieren, aber womöglich gar nicht wissen, was das ist.« (Trutkowski/Weiß 2022a: 3).

Literaturhinweise

Trutkowski, Ewa/Weiß, Helmut (2022a). Zeugen gesucht! Zur Geschichte des generischen Maskulinums im Deutschen. Erscheint in Linguistische Berichte. <https://ling.auf.net/lingbuzz/006520/current.pdf?_s=hDQwK3mN8OtflzN2>

Trutkowski, Ewa/Weiß, Helmut (2022b). Seit 1000 Jahren können Frauen auch Sündern, Richter und Freunde sein. WELT online vom 25.2.2022. <https://www.welt.de/kultur/plus238287549/Gendern-und-Grammatik-Seit-1000-Jahren-koennen-Frauen-auch-Freunde-sein.html?cid=socialmedia.email.sharebutton>