Ausgabe: Der Sprachdienst 6/2011

Hebel

hebel

Foto: © magonus – Fotolia.com

Seit Ende September Finanzminister Wolfgang Schäuble für die Rettung des insolventen Griechenland die sogenannte Versicherungslösung vorschlug, begegnet man des Öfteren einem Wort, das nicht nur in der Physik, nicht nur in der Finanzwirtschaft, sondern deutlich auch metaphorisch seine Kraft und Wirkung entfalten kann: dem Hebel. So richtig greifbar und einsichtig scheint diese Metapher in der derzeitigen Finanzkrise jedoch nicht zu sein, daher wollen wir sie ein wenig näher beleuchten.

Was ein Hebel ist, wird jedem in etwa bekannt sein, dennoch soll er kurz definiert werden: In der Menschheitsgeschichte ist die praktische Eigenschaft des Hebels vermutlich schon deutlich länger verbreitet, seine theoretische Beschreibung hat ihren Ursprung jedoch in der Mechanik, die etwa im 4. Jh. v. Chr. begründet wurde. Es handelt sich bei einem Hebel um einen Körper, meist in Form einer Stange, der um eine Achse oder einen Punkt drehbar ist. Dadurch können, in Abhängigkeit von der Länge der Hebelarme, durch geringen Kraftaufwand auch größere Lasten bewegt bzw. gehoben werden. So ist das Wort selbst auf das Verb heben zurückzuführen und wird mit dem Instrumentalsuffix -el gebildet (ebenso Deckel zu decken, Stachel zu stechen oder Stößel zu stoßen). Beispiele für einen Hebel sind etwa Brechstange, Wippe oder Nussknacker.

Die Metapher des Hebels ist in der Wirtschaft nicht neu: In der DDR war der Begriff des ökonomischen Hebels durch eine Lehnübersetzung aus dem Russischen übernommen worden und bezeichnete eine »Maßnahme zur möglichst planmäßigen Entwicklung, Förderung der Wirtschaft« (»Duden. Deutsches Universalwörterbuch«, Mannheim 2011). Im Finanzwesen spricht man von einem Hebel, einer Hebelwirkung oder einem Hebeleffekt, wenn bei Investitionen neben dem Eigenkapital auch Fremdkapital eingesetzt wird, das man sich zu günstigen Konditionen leiht, um so eine höhere Rendite zu erzielen. Ein solcher Effekt soll auch in der derzeitigen Krise bewirkt werden, indem nicht nur der zur Verfügung stehende Betrag des »Rettungsschirms« eingesetzt wird, sondern zusätzlich externes Kapital von privaten Investoren (eben zu »günstigen Konditionen«, nämlich indem man ihre Anleihen gegen den möglichen Ausfall teilweise absichert), die in griechische Staatsanleihen investieren. Dadurch soll mit relativ geringem finanziellem Aufwand die Summe zur Rettung des Landes vervielfältigt werden. So werden also heute die finanziellen Mittel gehebelt, während sie früher gestemmt wurden, ein Akt, der den Einsatz von deutlich mehr Kraft, sprich Kapital verlangt. Überall liest und hört man nun vom »Hebel-Modell«, der »Hebel-Politik«, dem »Hebel-Mechanismus«, vom »Finanzhebel«, »Kredithebel« oder vom »Rettungsschirm-Hebel«, gar von einer »Hebelung«. Um Griechenland zu retten, werden »alle Hebel in Bewegung« gesetzt, dabei wird der Zusammenhalt der EU arg strapaziert, so, wie derzeit an ihr »herumgehebelt« wird. Manch Kritiker findet jedoch eine »Hebel-Lösung« noch zu kurz gegriffen und argumentiert stattdessen für »Bazooka« oder »Panzerfaust« (FAZ vom 24.10.2011). Da wird man sehen, wer am Ende am längeren Hebel sitzt.

Übrigens haben sich Redewendungen und Metaphern wie »alle Hebel in Bewegung setzen«, »am längeren/kürzeren Hebel sitzen« oder »den Hebel ansetzen« erst deutlich später entwickelt, als der mechanische Hebel bekannt ist: Während sich bereits die alten Ägypter beim Bau der Pyramiden im 3. Jahrtausend v. Chr. der Hebelwirkung bedienten und Aristoteles sie im 4. Jh. v. Chr. schließlich durch mathematische Formeln beschrieb, ist sie sprachspielerisch im Deutschen wohl nicht vor dem 18. Jahrhundert entdeckt worden.

Frauke Rüdebusch