Jugendsprache früher und heute
Dass die heranwachsende Generation anders spricht als ihre Eltern, ist kein neues Phänomen. Schon im 16. Jahrhundert entwickelte sich die Burschensprache an den deutschen Universitäten. Seitdem gab es vereinzelt immer wieder Versuche, die Studentensprache in Wörterbüchern zu dokumentieren; doch erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kann von einer wissenschaftlichen Analyse von Schüler- und Studentensprachen im deutschsprachigen Raum die Rede sein, den Vorläufern dessen, was wir heute unter Jugendsprache verstehen.
Verarbeitung und Auflehnung: die 60er-Jahre
Wie schon in unserem ersten Artikel zur Jugendsprache erwähnt, ist es vor allem der Wortschatz, der sie von der Allgemeinsprache unterscheidet. Um zu zeigen, wie wandelbar die Lexik der jungen Generation ist und wie schnell sich der Wandel vollzieht, haben wir uns mit Jugendsprache-Wörterbüchern aus den 60er- und 80er-Jahren befasst.
Auffallend ist, dass in Die Sprache der Teenager und Twens (1968) die Redeweise der jungen Menschen als Ausdruck »eine[r] tiefe[n] Jugendnot« einer Generation beschrieben wird, die das Ende des Zweiten Weltkriegs als Kinder miterlebt hatte und die dann als Heranwachsende mit »Scherz und Ironie« ihre inneren Nöte zum Ausdruck bringt. Und tatsächlich finden sich viele Wörter mit Kriegsbezug, wie Bombe in verschiedenen Kontexten und Zusammensetzungen zur Unterstreichung einer besonders tollen Sache (besonders attraktive Mädchen, eindrucksvolle Jungen; vgl. auch unsere Frage und Antwort zur »Bedeutung und Verwendung von Bombenwetter«), bombig für ›gewaltig‹, Genickschussbremse für ein Haarpolster im Nacken oder atom- ebenfalls als verstärkendes Element.
Auch erste englische Ausdrücke tauchen in dieser Zeit auf und sind auf die Besatzungsmächte zurückzuführen. So wurden Zigaretten mitunter Sticks genannt und tanzen hieß rocken, per Anhalter fahren hieß hitchen und wer modern war, war cool. Und auch die Ablehnung der Werte der Elterngeneration wird deutlich in Bezeichnungen wie Regierung für ›Eltern‹, Erzeuger für ›Vater‹, Papiertiger für ›Dozent‹ und Gossenmolch für ›Polizist‹ oder in eher vulgären und damit als respektlos empfundenen Ausdrücken wie anpinkeln ›dumm kommen‹ oder kastrieren ›jemanden anöden‹.
Gefühle und Politik: die 80er-Jahre
Nicht mal zwanzig Jahre später scheint es, als würde der Jugend und ihrer Sprache noch ein Stück mehr Verständnis entgegengebracht. In Lass uns mal ′ne Schnecke angraben – Sprache und Sprüche der Jugendszene (1983) heißt es, »[d]reist, unmoralisch und anstößig« werde das Vokabular der Jugendlichen erst im Kopf ihrer Kritiker, tatsächlich habe die »Null-Bock-Generation« aber einfach nur null Bock mehr auf die Sprache der Älteren, die sich gerne »alle Optionen offenhalten«, nicht zum Punkt kommen und keine Farbe bekennen. Wieder drücken die Teenager durch ihre Sprache also vor allem eines aus: Abgrenzung nach außen und Einigkeit nach innen. Für die Jugendsprache der 80er-Jahre heißt das: weg vom Drumherumgerede, Klartext ist angesagt! Das führt zu teilweise sehr eindeutig auf die Körperfunktionen bezogene Redewendungen wie »mir läuft die Vorfreude schon am Bein herunter«, »da fällt mir echt ′n Ei aus der Hose« (vor Überraschung) oder »Du hast wohl ein Ei am Wandern!« (›Du spinnst wohl!‹, bezogen auf den weiblichen Zyklus).
Der offensichtliche Bezug zur Sexualität ist dabei natürlich kein Zufall und soll schockieren, ist aber gleichzeitig der Versuch, sich die Gefühle offen von der Seele zu reden. Oft fehlen aber in der »überkommenen« alten Sprache genau für die Gefühle die Worte, weshalb neue Wege gefunden werden müssen, um sich mitteilen zu können. Eine sehr bildliche Sprache – »Ich glaub′, der Papst boxt im Kettenhemd!« oder »Ich schnall′ ab!« – ist das Ergebnis.
Außerdem ist die Jugendsprache der 80er geprägt von politischen Botschaften wie »Das Leben geht weiter – aber ohne uns«, »Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv« und vor allem »No future!«, in denen der Unmut über die Zerstörung der Umwelt und die Angst vor einem Atomkrieg durchklingen. Die Wörter Wahnsinn und irre haben Hochkonjunktur, die Jugend zeigt sich äußerst kritisch, nicht zuletzt auch in Bezug auf sich selbst: »Wir wissen nicht, was wir wollen – aber das mit ganzer Kraft.«
Mehr als Provokation
Es zeigt sich also, dass hinter der oft als vulgär und frech empfundenen Ausdrucksweise von Jugendlichen meist mehr steckt, als der bloße Wille zu provozieren. Jede Generation ist geprägt von den Konflikten ihrer Zeit und für jede sind andere Themen relevant. Ihren Sorgen und Nöten, aber auch ihren Wünschen verleihen Sie auf verschiedene Art Ausdruck, nicht zuletzt durch ihre Sprache. Wer sich also bald mal wieder beim Kopfschütteln über das Vokabular der Teenager ertappt, der erinnere sich am besten an die eigene Jugend, als man noch selbst der Auslöser des Kopfschüttelns der Elterngeneration war.
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Zum Weiterlesen
Die Sprache der Teenager und Twens, Ernst Günther Welter, Frankfurt, 1968 (3. Auflage)
Lass uns mal ′ne Schnecke angraben – Sprache und Sprüche der Jugendszene, Claus Peter Müller-Thurau, Düsseldorf, 1983