Muttersprache 4/2016
Bär, Jochen A.
Text- und Diskurshermeneutik
Der Beitrag behandelt einige grundsätzliche theoretische und methodologische Fragen der hermeneutischen Linguistik. Anhand eines Anwendungsbeispiels wird ein eigener textsemantischer Ansatz vorgestellt, die sogenannte Wortverbundanalyse, die auch für diskurssemantische Untersuchungen genutzt werden kann.
The paper deals with some fundamental theoretical and methodological questions of hermeneutical linguistics. Using an application example, we will present an own text semantic approach, the so called word alliance analysis, which can also be applied to discourse analysis.
Böhnert, Katharina
Nelson Mandela schlägt Hindenburg – Benennungsmotive von Schulen im Wandel
Schulnamen spiegeln Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Wurden Schulen im Kaiserreich noch ausschließlich nach Angehörigen kaiserlicher und königlicher Häuser benannt (z. B. Kaiser-Wilhelm-Gymnasium), ist aus aktuellen Benennungen die Tendenz zur Orientierung an Werten wie ›Internationalität‹, ›Vielfalt‹ und ›Toleranz‹ abzulesen (Astrid-Lindgren-Grundschule, Nelson-Mandela-Realschule, Martin-Luther-King-Gymnasium). Als direkte Folge dieses Wertekanons werden Schulen umbenannt, deren Namenpatrone (Paul von Hindenburg, Wernher von Braun, Peter Petersen) dem aktuellen Kultur- und Werteverständnis nicht mehr entsprechen. Im vorliegenden Beitrag werden Benennungsmotive diatopisch und diachron gegenüberstellt. Es zeigt sich, dass die Benennung von Schulen zeit- und regionaltypische Gegebenheiten abbildet. Partizipative Prozesse bei der Namenvergabe (Beteiligung von Schülerinnen und Schülern, Presse und Interessenverbänden) befördern zudem die Auffächerung von Benennungsmotiven und regen Reflexionsprozesse an, was einen ›guten‹ Schulnamen ausmacht.
School names reflect cultural history, especially history of mentalities. During the time of the German Empire, schools were exclusively named after members of the royal houses (e. g. Kaiser-Wilhelm-Gymnasium) whereas nowadays the tendency to choose names closely related to values like ›internationality‹, ›diversity‹ and ›tolerance‹ (e. g. Astrid-Lindgren-Grundschule, Nelson-Mandela-Realschule, Martin-Luther-King-Gymnasium) can be stated. One consequence of this tendency is the renaming of schools whose patronyms (Paul von Hindenburg, Wernher von Braun, Peter Petersen) do not correspond anymore to the prevailing cultural values. In the present article a diatopic and diachronic analysis of schools’ patronyms is expounded. The contrastive view gives strong evidence that patronyms reflect historical and regional conditions. In addition, the participation of an increasing number of groups (e. g. students, journalists, stakeholders) in naming processes causes the diversification of school names and initiates reflection of what a ›good‹ patronym is about.
Malkoç, Muzaffer
Zur Stellung und Semantik von ein und bir in der Nominalphrase. Eine vergleichende Untersuchung
In dieser Arbeit haben wir versucht, das deutsche Wort ein mit dem türkischen Zahlwort bir zu vergleichen. Das deutsche Wort ein steht positionell auf jeden Fall vor einem Substantiv (ein Kleid) oder einer Phrase (ein altes Kleid) und bedeutet je nach Situation eine Menge oder eine Unbestimmtheit. Dagegen ist die Stellung des türkischen bir nicht festgelegt, sondern je nach Redesituation variabel. Als Zahladjektiv steht das türkische Wort bir am Anfang der Phrase und bedeutet in der Regel eine Anzahl: bir eski elbise ›ein Altkleid‹. Als unbestimmtes Adjektiv hingegen wird es zwischen Adjektiv und Substantiv gestellt, wobei es eine Unbestimmtheit eski bir elbise ›ein altes Kleid‹ ausdrückt.
In this paper, we have tried to compare the German word ein to the Turkish word bir. Positionally, the German word ein is placed before a noun (a dress) or a phrase (an old dress) and means a number or an indefiniteness depending on the situation. In contrast, the position of the Turkish word bir is not fixed but may vary in context. As a numerical adjective, the Turkish word bir stands at the beginning of the phrase and it usually means a number: bir eski elbise ›one old dress‹. As indefinite adjective, however, it is placed between the adjective and the noun, and it expresses an indefiniteness eski bir elbise ›an old dress‹.
Höppnerová, Věra
Das Partizip I im Wirtschaftsdeutsch. Eine kontrastive Betrachtung
Der Vergleich der deutschen Partizipien I und ihrer Äquivalente in der tschechischen Wirtschaftssprache zeigt, dass diese Formen in beiden Sprachen unterschiedlich vertreten sind und dass den deutschen Partizipien I im Tschechischen weitaus mehr Ausdrucksmittel entsprechen als in den Grammatiken angeführt sind. Die Übersetzung der deutschen Partizipien I durch diese Äquivalente, wozu die Studierenden ständig neigen, wird dem lebendigen Sprachgebrauch nicht gerecht.
Juxtaposition of present participles in German and their equivalents in the Czech business press demonstrates that these forms are represented differently in both languages and that there are more means of expressions in the Czech language corresponding to present participles in German than can be found in grammar books. Tendency to translate German present participles using these equivalent only, which is widely spread among students, does not, however, correspond with contemporary language practice.
Beljutin, Roman
»Ich habe fertig!« – Fehlpässe im Fußballdiskurs
In dem vorliegenden Artikel wird am Beispiel der Äußerungen von Teilnehmern des Fußballdiskurses (Fußballspieler, Trainer, Manager, Journalisten) sowie von solchen, die ihn von außen prägen können (vor allem Politiker), auf die Probleme der sprachlichen, kommunikativen, interkulturellen Störungen bei der Produktion und Rezeption der diskursiven Handlungen eingegangen. Durch die Einteilung des gesammelten empirischen Materials in die jeweiligen Cluster (sachliche Fehler, logische Fehler, lexikalische Fehler etc.) entsteht eine intradiskursive Typologie der Abweichungen von den Regeln und Normen des Deutschen. Aufgezeigt werden u. a. einige spezifische Merkmale der untersuchten Äußerungen (Interdiskursivität, Intertextualität, Interkulturalität etc.).
The article deals with violations of language, communicative, intercultural rules of speech act production and perception by the example of football discourse participants’ utterances (speech of players, coaches, managers, journalists), as well as those organizing it from »the outside« (politicians particularly). Intradiscourse typology of violations of standards and norms in the German language is created by combining similar patterns into corresponding clusters. Some specific characteristics of the explored patterns are determined: their interdiscourse, intertextual, and intercultural nature.
Frilling, Christoph
Forum: Zur Problematik des Wortes Flüchtling(e)
2015 erklärte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) das Wort Flüchtlinge zum Wort des Jahres. Gebildet aus dem Verb flüchten und dem Ableitungssuffix -ling (für »Person, die durch eine Eigenschaft oder ein Merkmal charakterisiert ist«) klinge, so die Jury der GfdS, der Ausdruck Flüchtling »für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig« (GfdS 2015). Eisenberg (2016: 1) allerdings weist die von der GfdS konstatierte negative Konnotation des Wortes als »durch nichts begründet« zurück.
Es stellt sich also die Frage, ob diese Theorie linguistisch belegbar ist. Offensichtlich haben alle deutschen Wörter auf –ling einen negativen Beigeschmack, wenn sie von Adjektiven abgeleitet werden. Eine pejorative Konnotation ist auch bei einer Mehrzahl von -ling-Bildungen unbestreitbar, wenn sie auf ein Verb zurückzuführen sind. Es scheint jedoch eine Anzahl von Fällen zu geben, in denen die abfällige
Wirkung nicht im Stammmorphem auszumachen ist, sondern im Suffix -ling selbst. Zumindest kann die Theorie verifiziert werden, dass bei Wörtern auf -ling stets eine besondere Wirkung erzielt
wird, das heißt ein abwertender, marginalisierender, spöttischer und verniedlichender Effekt, der eine gewisse Lieblichkeit, Unschuld oder Unfertigkeit impliziert.
Wegen der aktuellen Brisanz des Wortes Flüchtling werden gegenwärtig verschiedene Bezeichnungen diskutiert, um die Akzeptanz gegenüber Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, positiv
zu beeinflussen. Die »Heimatvertriebenen« aus den früheren deutschen Ostgebieten genießen den sozialen Vorteil, dass ihre sprachliche Bezeichnung gewöhnlich positiv konnotiert wurde – vielleicht aus Gründen politischer Opportunität.
In 2015 the German word Flüchtling was nominated word of the year by the »Gesellschaft für deutsche Sprache« (GfdS) – the German Language Society. In German this word is formed from the verb flüchten
(›to flee‹) and the derivative suffix -ling that we often use to express that a person is characterized by a certain property or a feature (attribute). Furthermore -ling is often used as a diminutive. The selection committee, however, felt the expression Flüchtling to be disparaging – at least for speech-sensitive ears.
The question is whether this theory can be verified linguistically. Obviously there is a negative after-taste with all German words ending with -ling that are derived from adjectives. A pejorative touch is also indeniable with a majority of words harking back to verbs. However, there seems to be a number of cases where the derogatory component does not consist in the root morpheme but in the suffix -ling itself. At least the theory can be verified that with words ending with -ling, a very special impact is always achieved, that is to say a derogatory, marginalizing, mocking and belittling effect implying sweetness, innocence or incompleteness.
Due to the topical problem of the expression Flüchtling, various alternative words are currently being discussed in order to affect positively the acceptance of displaced persons who have fled their homes. The »Heimatvertriebene« (expellees) from the former German eastern territories enjoy the social advantage that their linguistic designation mostly used to be connoted positively – perhaps for reasons of political convenience.
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