Ausgabe: Der Sprachdienst 4–5/2016

Putsch

© CC-Lizenz

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Ein Putsch hat die Türkei im Innersten erschüttert. Teile des türkischen Militärs hatten versucht, die türkische Regierung unter dem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dem Ministerpräsidenten Binali Yıldırım zu stürzen. Erdoğan hatte daraufhin die zivile Bevölkerung zum Widerstand aufgerufen und forderte sie dazu auf, die von den Putschisten verhängte Ausgangssperre zu brechen. Nach einer Nacht voller Kämpfe mit vielen auch zivilen Opfern scheiterte der Putsch schließlich.

Aber ist es denn richtig, hier von einem Putsch zu sprechen? Wäre es nicht richtiger, es als Putschversuch zu bezeichnen, war der Putsch doch nicht erfolgreich? Zudem wird er allenthalben Putschversuch genannt, besonders in den Medien. Die Antwort lautet: ja und nein.

Ein Putsch ist nach Auskunft der Wörterbücher eine ›Revolte‹ – ja, das war es in diesem Fall –, ›ein politischer Handstreich‹ – auch das war es –, ein ›Umsturzversuch‹ – ja, auch dies – bzw. ein ›Umsturz‹ – aber nein, der Umsturz hat nicht stattgefunden. Nach diesen Definitionen ist es nur bei Letzterer gerechtfertigt, von einem Putschversuch als dem ›Versuch eines Umsturzes‹ zu sprechen; alle anderen Definitionen des Putsches – die Revolte, der politische Handstreich, der Umsturzversuch – benötigen keine weitere Bestimmung. Es ist also korrekt von einem Putschversuch zu sprechen, aber genauso darf von einem Putsch oder einem gescheiterten Putsch die Rede sein.

Putsch – das Wort klingt irgendwie heimisch, seine Bedeutung lässt sich aber nicht so einfach herleiten. Manch einer denkt dabei vielleicht an patschen, panschen, pushen oder aufputschen. Woher stammt es, was bedeutet es wirklich? Es handelt sich bei Putsch um einen Helvetismus, um ein Wort aus dem Schweizerischen. Zugrunde liegt das schon im 15. Jahrhundert belegte, vermutlich lautmalerische Dialektwort butsch bzw. putsch mit der Bedeutung ›Knall, heftiger Stoß, Puff, An-/Aufprall‹. Seit dem 16. Jahrhundert wurde es auch im übertragenen Sinn von ›plötzlicher Vorstoß, Anlauf gegen ein Hindernis/zu einem Unternehmen‹ verwendet, blieb aber noch bis ins 19. Jahrhundert auf den schweizerischen Sprachraum beschränkt. Auch ein plötzlicher Regenguss wurde als Putsch bezeichnet, ebenso ein durch Stoßen oder Quetschen gewonnener Obstwein. Als es dann in den 1830er Jahren in den meisten Schweizer Kantonen Volksaufstände gab, in deren Folge das aristokratische Regime gestürzt und in vielen Kantonen liberale Verfassungen eingeführt wurden, nannte man dies einen Putsch – im »Deutschen Wörterbuch« der Brüder Grimm (Leipzig 1854 ff.) wird erklärt, wie es dazu kam: »das wort putsch stammt aus der guten stadt Zürich, wo man einen plötzlichen vorübergehenden regengusz einen putsch nennt und demgemäsz die eifersüchtigen nachbarstädte jede närrische gemüthsbewegung, begeisterung, zornigkeit, laune oder mode der Züricher einen Zürichputsch nennen. da nun die Züricher die ersten waren, die geputscht [einen Volksaufstand durchgeführt haben], so blieb der name für alle jene bewegungen […].« Durch diese Geschehnisse gelangte das Wort zu Beginn der 1840er Jahre in die deutsche Standardsprache und stand fortan für einen plötzlichen Aufstand einer Minderheit (später dann:) zum Sturz einer Regierung oder Regierungsform.

Auch die Bedeutung des Verbs putschen entwickelte sich im Zuge dessen von ›einen Stoß geben, stoßen‹, auch ›anstoßen‹ zu ›einen Putsch [im Sinne von Revolte, Umsturz(versuch)] ausführen‹. Das Verb aufputschen dagegen war überhaupt erst seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gebräuchlich und hatte die Bedeutung ›aufwiegeln, aufhetzen‹; davon jedoch hat sich das Verb emanzipiert und meint heute etwas ganz anderes, nämlich ›(sich) durch Drogen, Medikamente oder andere Reizmittel aufmuntern, in einen Zustand der Erregung versetzen‹.

Das heute etwas ungewöhnlich anmutende Nomen agentis Putscher, der ›Aufständler‹, war früh, jedoch kaum über das 19. Jahrhundert hinaus in Gebrauch; schon im 20. Jahrhundert setzte sich der Putschist durch. Möglicherweise war dies beeinflusst durch andere denominale Personenbezeichnungen, die von Nomen auf -ismus abgeleitet werden (diese bezeichnen oftmals »politische und ökonomische, philosophische und religiöse Theorien und Richtungen sowie damit zusammenhängende Verhaltensweise in Kunst und Literatur sowie in der Wissenschaft « (Wolfgang Fleischer/Irmhild Barz: »Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache«, Tübingen 1992)), so etwa Tourismus – Tourist, Terrorismus – Terrorist, Kapitalismus – Kapitalist, Nationalismus – Nationalist.

Dass seit dem Putsch in der Türkei Tausende Menschen u. a. im Militär, im Bildungssektor, in wichtigen behördlichen Institutionen entlassen wurden, schürt die Gerüchte, Erdoğan habe den Putsch initiiert, da ihm dies einen Grund liefere, das Land politisch zu »säubern« und entscheidende Positionen mit Anhängern des Regimes zu besetzen: Er führe damit einen zivilen Konterputsch bzw. Gegenputsch, bei dem nicht nur mögliche Anhänger der verdächtigen Gülen-Bewegung, die den Putsch angeblich intiiert habe, verhaftet werden, sondern ebenso Aleviten, Kurden und Kemalisten. Von einem Staatsputsch von oben ist die Rede. Der militärische Putsch ist also gescheitert und könnte damit in doppelter Hinsicht für das Regime als Erfolg gelten.

Frauke Rüdebusch