Ausgabe: Der Sprachdienst 4–5/2016

Der Buchstabe ‹V› und seine Berechtigung in der deutschen Sprache

[F] Ein koreanischer Freund wollte wissen, was der Unterschied zwischen ‹V› und ‹F› sei. Nun frage ich mich, ob der Buchstabe ‹V› überhaupt eine Berechtigung in der deutschen Sprache hat. Oder gibt es Fälle, in denen er weder durch ein ‹W› noch durch ein ‹F› ersetzt werden kann?

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[A] Um Ihre Frage zu beantworten, holen wir zunächst ein wenig weiter aus. Das ‹V› ist nach moderner Zählweise der 23. Buchstabe unseres Alphabets und wurde ursprünglich aus dem griechischen Alphabet entlehnt. Im gotischen Alphabet wurden ‹V› und ‹U› graphisch unterschieden, indem für das ‹U› eine Rune und für das ‹V› der griechische Buchstabe verwendet wurde. Im lateinischen Alphabet wurde kein graphischer Unterschied zwischen ‹U› und ‹V› vorgenommen, sodass durchgängig das ‹V› verwendet wurde. Der Buchstabe ‹V› stand demnach sowohl für ‹V› als auch für ‹U› (vgl. J. und W. Grimm: »Deutsches Wörterbuch«. Leipzig 1854 ff.). Noch heute wird in den slawischen Sprachen oftmals ein ‹V› statt eines ‹U› geschrieben: Klavdia statt Klaudia, Avtomat statt Automat.

Im »Deutschen Wörterbuch« stellten die Brüder Grimm fest, dass ‹F› und ‹V› bereits im 16. Jahrhundert keinen lautlichen Unterschied aufwiesen, was auch daran zu erkennen ist, dass Wörter mit demselben Stamm mit unterschiedlichen Initialen geschrieben werden, z. B. voll und Fülle. Ihren Ausführungen zufolge sind Versuche, die beiden Buchstaben auch lautlich zu trennen, gescheitert, da es in der Volkssprache keinen Unterschied zwischen ihnen gibt.

Auch heute wird im Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA) lediglich von den zwei Lauten [f] und [v] ausgegangen, wobei letzterer wie in Wald oder wieder gesprochen wird. Zwar gibt es im IPA den Laut [w], dieser steht allerdings für die englische Aussprache des ‹W›, wie in what oder weather. Die beiden Laute [f] und [v] werden daher im Deutschen durch die drei Buchstaben ‹F›, ‹V› und ‹W› repräsentiert. Obwohl es oft keinen lautlichen Unterschied gibt, ist das ‹V› im Alphabet dennoch unabdingbar, z. B. wenn es um die Unterscheidung der Wörter viel und fiel geht: Aufgrund des fehlenden lautlichen Unterschieds ist allein der graphische Unterschied zwischen dem ‹V› und dem ‹F› für die Bedeutung der beiden Wörter verantwortlich.

Ihre Frage, ob es Fälle gibt, in denen ein ‹V› weder durch ein ‹F› noch durch ein ‹W› ersetzt werden kann, ist zumindest für den deutschen Sprachraum mit nein zu beantworten. Dies rührt daher, dass jedes gesprochene Wort in Lautschrift, die aus den Zeichen des IPA besteht, transkribiert werden kann. Dementsprechend wird jedes ‹F›, ‹V› oder ‹W› entweder mit einem [f] oder einem [v] verschriftlicht.

Der Buchstabe ‹V› lässt sich also lautlich nicht von entweder ‹F› oder ‹W› unterscheiden. Dennoch besteht er seit vielen Jahrhunderten in unserem Alphabet, auch wenn die Frequenz seiner Verwendung über die Jahrhunderte stark abgenommen hat (so wurden im Alt- und Mittelhochdeutschen viele Wörter mit einem ‹V› anstelle eines heutigen ‹B› geschrieben: aver, haven, heven (vgl. J. und W. Grimm: »Deutsches Wörterbuch«). Bedingt durch die graphemische Historie und die moderne Normierung unserer Schriftsprache ist der Buchstabe ‹V› jedoch nicht ohne Weiteres abzuschaffen und durch ‹F› oder ‹W› zu ersetzen.

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