Ausgabe: Der Sprachdienst 6/2020

Schwarz-weiß-Denken

Weder Schwarzfahrerin noch Fahrende ohne gültigen Fahrschein. Bild: Victoria Borodinova (mod. TS)

Mohrenköpfe oder Negerküsse heißen schon seit längerer Zeit Schokoküsse, die Zigeunersoße wurde zur scharfen Paprikasoße ungarischer Art, Uncle Ben verschwindet von den Reisverpackungen und selbst der Sarotti-Mohr, seit über 100 Jahren Markenlogo des Schokoladenherstellers Sarotti, erfährt eine rassistische Deutung. In Ulm wurde beschlossen, zum diesjährigen Weihnachtsfest die Heiligen Drei Könige aus der Krippe im Münster zu entfernen, da die Figur des Melchior – gestaltet vor etwa 100 Jahren – durch seine dicken Lippen rassistisch dargestellt sei. Und Berliner Beamte dürfen Menschen, die öffentliche Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein nutzen, nicht mehr als Schwarzfahrer bezeichnen – das könnte (ganz unabhängig von Diskussionen um eine gendergerechte Form) als rassistisch diskriminierend aufgefasst werden.

Solche und ähnliche Meldungen häufen sich. Dass Rassismuskritik ein wichtiges Schlagwort unserer Gesellschaft ist, ist nicht neu, und natürlich erstreckt sich ein sensibler und kritischer Umgang mit diskriminierenden und rassistischen Bezeichnungen auch und ganz wesentlich auf unsere Sprache. Die Frage, ob die oben genannten Vorkommnisse zu weit gehen oder wo eine Grenze zu ziehen ist, kann hier nicht gestellt werden; stattdessen beschäftigt sich dieses Zeit-Wort mit den Wörtern schwarz und weiß im Allgemeinen, mit den durch sie Bezeichneten und mit den Schwierigkeiten ihrer Verwendung oder Nichtverwendung in der heutigen hochsensiblen Debatte um Rassismus.

Die Adjektive schwarz und weiß haben einen germanischen Ursprung; schwarz geht zurück auf alt- und mittelhochdeutsch swarz, germanisch *swarte, weiß auf althochdeutsch (h)wīz, germanisch *hweita-. Ganz wörtlich bedeuten diese beiden einerseits ursprünglich ›dunkel, schmutzfarbig‹ und heute ›von der dunkelsten Färbung‹, ›von sehr dunklem Aussehen‹, andererseits ursprünglich ›hell, glänzend‹, heute ›von der hellsten Farbe‹, ›sehr hell aussehend‹.

So sind mit diesen Wörtern schon immer zwei gegensätzliche Wahrnehmungen verbunden. Zunächst einmal nachweisbar: Während Schwarz alles Licht schluckt, reflektiert Weiß es. Doch auch im übertragenen Sinn stehen Schwarz und Weiß für zwei sich komplementär gegenüberstehende Dinge, Definitionen, Assoziationen, sodass die Wörter auch zahlreiche übertragene Bedeutungen entwickelt haben: Weiß ist hell, strahlend, leuchtend und steht damit für Positives, Unschuldiges, Gutes und Angenehmes. Schwarz hingegen wird in unserer Kultur mit Dunkelheit, Unheilvollem, Bösem, mit Undurchschaubarkeit und Verborgenem verknüpft. Die Brüder Grimm fassen es in ihrem »Deutschen Wörterbuch« so zusammen: »die bedeutung von schwarz in der farbensymbolik, wo es im allgemeinen das gegentheil von weisz bezeichnet, wurzelt in dem gegensatz von licht und dunkel, ihrer wirkung auf den menschen, auf leben und gedeihen überhaupt. schwarz ist die unholde farbe, die farbe des bösen, des schädigenden, des zorns und der moralischen minderwerthigkeit […].« Weiß hingegen wird beschrieben »als die farbe der reinheit und unschuld […], des glücks und guter vorbedeutung«.

Kurz und überspitzt gesagt: In unserer Kultur ist die Farbe Weiß hell und gut, sie steht für den Anfang, für Geburten, Hochzeiten, Anlässe zur Freude; Schwarz ist dunkel und böse, es steht für das Ende, für Tod und für Trauer. Diese Sinnbildlichkeit wird in zahlreichen Kollokationen und Redewendungen bekräftigt. Redewendungen zu weiß gibt es nicht viele, doch oft spiegelt sich darin das Motiv des Guten, Friedvollen, Unschuldigen: eine weiße Weste haben im Sinne von ›sich nichts zuschulden kommen lassen; ein guter, unschuldiger Mensch sein‹ oder die weiße Fahne hissen mit der Bedeutung ›Verhandlungs-, Friedensbereitschaft zeigen‹. Dagegen gibt es zahlreiche negativ konnotierte Redewendungen, die das Adjektiv schwarz beinhalten: jemandem den schwarzen Peter zuschieben ›etwas Unangenehmes auf jemand anderen abwälzen‹; warten, bis man schwarz wird ›auf etwas warten, das nicht eintreten wird‹ (schwarz steht hier für das Verwesen der Leiche, in diesem Sinne also: ›warten, bis man tot ist‹), sich schwarz ärgern ›sich sehr stark ärgern‹. Es gibt jedoch auch Redewendungen, in denen schwarz für etwas Gutes steht: ins Schwarze treffen ›mit etwas genau das Richtige tun/sagen‹, schwarze Zahlen schreiben (im Gegensatz zu roten) ›auf der Habenseite sein, Gewinn machen‹.

Neben weiteren übertragenen Bedeutungen (schwarz = › (politisch) konservativ‹, ›von Katholizismus geprägt‹) werden die Adjektive weiß und schwarz letztlich auch für die Hautfarben von Menschen verwendet: Mit weiß wird gemeinhin die Hautfarbe der Europäisch- Stämmigen assoziiert, mit schwarz die Hautfarbe von aus Afrika stammenden Menschen. Doch auch wenn eine Debatte um die Bezeichnungen schwarz und weiß zur Kennzeichnung von Hautfarben und somit ganzer Gruppen von Menschen erst in jüngerer Zeit stattfindet, ist dies keine Erfindung unseres Zeitalters: Laut den Brüdern Grimm ist die Bezeichnung weiß für die helle Hautfarbe schon seit dem 17. Jahrhundert belegt. Dass Menschen mit dunklerer Hautfarbe als schwarz bezeichnet werden, ist noch um einiges älter und findet sich den Grimms zufolge bereits in Wolfram von Eschenbachs »Parzival« (13. Jh.) und bei Notker dem Deutschen (10./11. Jh.).

Die Tatsache, dass die Bezeichnungen schon althergebracht sind, bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht überdacht werden können und sollten. Ein Argument in der Debatte um rassismuskritische Sprache ist, dass niemand wirklich »schwarz« oder »weiß« ist, dass Menschen durch diese Bezeichnungen bestimmten Kategorien zugeordnet werden, womit oft genug eine Bewertung und damit eine Segregation, also eine Trennung in unterschiedliche soziale Gruppen einhergeht. Darauf hinzuweisen und sich dies auch selbst bewusst zu machen, ist ein guter Weg zu einer diskriminierungsfreien Sprache, d. h. für Diskriminierungen zu sensibilisieren und sie schließlich zu umgehen.

Tatsächlich bezeichnen sich Schwarze Menschen inzwischen selbst so: als Schwarz. Ja, Sie lesen richtig, hier wird das Adjektiv großgeschrieben, denn es handelt sich nicht um die äußere Eigenschaft eines Menschen, sondern um ein soziales Konstrukt: All jene, die Erfahrung mit Rassismus gemacht haben, bezeichnen sich als Schwarze Menschen oder People of Color (PoC). Damit erhält das Adjektiv schwarz wiederum eine neue, übertragene Bedeutung (wir kennen das zum Beispiel vom Schwarzen Brett: Dieses muss weder schwarz sein noch tatsächlich ein physisches Brett): Bei Schwarzen Menschen ist mit Schwarz also nicht die Hautfarbe gemeint, sondern soziale Erfahrungen – wer also von Schwarzen spricht, sollte sich dessen bewusst sein. Adjektive wie dunkelhäutig oder farbig sind von der Selbstbezeichnung der PoC nicht betroffen; sie behalten ihre wörtliche Bedeutung.

Wie ist es nun einzuschätzen, dass es in Berlin (sprachlich) keine Schwarzfahrer mehr gibt, dass auch das Adjektiv anschwärzen durch denunzieren oder melden ersetzt werden soll? Grundsätzlich ist der Gedanke dahinter sicher gut und richtig: Menschen sollen unabhängig von »Geschlecht, ethnischer Herkunft und Hautfarbe, Alter, Behinderung, Religion, Weltanschauung und sexueller Identität« eine Gleichbehandlung erfahren (s. Leitlinien der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung in Berlin). Doch ein Schwarzfahrer könnte theoretisch auch blau, grün oder pink sein und dennoch öffentliche Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein nutzen: Schwarz referiert hier lediglich darauf, dass jemand etwas Illegales, Unerlaubtes tut. Vermutlich ist es die Kombination mit einem Nomen Agentis, also der Bezeichnung für eine handelnde Person, die den Berliner Senat diese präventive Maßnahme hat ergreifen lassen. Ob dabei ein wenig über das Ziel hinausgeschossen wird? Das überlassen wir Ihrem Urteil. Wir sind gespannt auf weitere Entwicklungen und darauf, was aus dem schwarzen Peter, dem schwarzen Schaf und dem schwarzen Mann wird, ob auch schwarzer Humor, schwarzer Tee und schwarze Johannisbeeren irgendwann mit Vorsicht zu genießen sind und ob es in Zukunft noch Schwarzarbeiter, Schwarzseher und Schwarzmaler geben wird.

Frauke Rüdebusch