Ausgabe: Der Sprachdienst 6/2018

Spurwechsel

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Seit einigen Wochen wird im Bundestag über den sogenannten »Spurwechsel« gesprochen. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass gut integrierte Flüchtlinge mit einem Arbeitsplatz unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit erhalten, auch bei einer Ablehnung des Asylantrags in Deutschland zu bleiben. Vom Asylrecht soll dann ein »Spurwechsel« zum Einwanderungsrecht erfolgen.

Was unter einem Spurwechsel üblicherweise verstanden wird, dürfte weithin bekannt sein – es bezeichnet laut Duden das Überwechseln von einer (Fahr-)Spur in eine andere. Der Ausdruck stammt somit aus dem Verkehrswesen und hat standardsprachlich keine weiteren Bedeutungen. So einseitig das für ein Zeit-Wort erscheint, so vielschichtig ist die Sprachgeschichte hinter dem Wort bzw. seinen Bestandteilen Spur und Wechsel.

Beide Ausdrücke haben ihren Ursprung im 8. Jahrhundert. Das Wort Wechsel geht zurück auf althochdeutsch wehsal, mittelhochdeutsch wehsel. Heute ist darunter eine (auch öfter vor sich gehende) Veränderung bestimmter Erscheinungen, Dinge, Geschehnisse etc. zu verstehen; im Bankwesen ist ein Wechsel eine Art Wertpapier und in der Natur gibt es den Wildwechsel, also das Überwechseln von Wild über die Straße bzw. in zusätzlicher Bedeutung ein Weg, den das Wild regelmäßig benutzt. Tatsächlich ist der Wechsel einerseits nah verwandt mit dem Verb weichen im Sinne von ›Platz machen‹, woraus sich die Bedeutung ›Tausch, Abwechslung, Reihenfolge‹ ergab, andererseits mit dem Substantiv Woche. Als regelmäßig wiederkehrender Zeitabschnitt von 7 Tagen bedeutete dieses Wort einst ebenfalls ›Reihenfolge, Wechsel‹. Im Bankwesen wird das Wort erst seit dem 14. Jahrhundert verwendet: Als Lehnübersetzung von italienisch cambio trägt es dessen Bedeutung ›Tausch, Geldwechsel‹.

Das Wort Spur ist zurückzuführen auf althochdeutsch spor über mittelhochdeutsch spur. Dies ist im eigentlichen Sinne ein Tritt bzw. ein Fußabdruck, gebildet aus einem germanischen Verb mit der Bedeutung ›mit dem Fuß ausschlagen, treten; zappeln, zucken‹. Das Bedeutungsspektrum dieses Ausdrucks ist einerseits zwar recht groß, doch lassen sich jeweils gemeinsame Merkmale erkennen. So ist laut Duden eine der Bedeutungen von Spur eine »Reihe, Aufeinanderfolge von Abdrücken oder Eindrücken, die jemand, etwas bei der Fortbewegung im Boden hinterlassen hat« – zum Beispiel eine Fußspur. Auch eine physische, sichtbare Veränderung durch äußere Einwirkung, ein Anzeichen für etwas, das in der Vergangenheit stattgefunden hat oder gewesen ist, ist eine Spur, etwa die Spuren eines Krieges. Auch weniger deutliche, d. h. sehr kleine Mengen von etwas stellen eine Spur dar, so etwa eine Spur Pfeffer. Weitere Anwendungsbereiche für das Wort Spur gibt es im Skisport (›Loipe‹), in der Technik (›Spurweite‹), in der EDV (›abgegrenzter Bereich auf einem Datenträger, in dem eine einfache Folge von Bits gespeichert werden kann‹ und ›einen bestimmten Anteil der gesamten Breite eines Magnetbands einnehmender Streifen‹) oder im Kfz-Wesen (›Stellung von linkem und rechtem Rad zueinander‹). Die im Spurwechsel vorhandene Spur stammt wie dieser aus dem Verkehrswesen und bedeutet ›Fahrspur‹. Auch verschiedene Redewendungen belegen, dass eine Spur etwas Zurückgebliebenes, Hinterlassenes ist, dem gefolgt oder das (wieder-)entdeckt werden kann: eine heiße Spur, jemandem auf die Spur kommen, in jemandes Spuren treten, nicht die Spur/keine Spur.

Zum Substantiv Spur gehören gleich zwei Verben: Eines ist spuren im Sinne von ›eine Spur ziehen, eine Spur halten‹, aber auch umgangssprachlich ›folgen, folgsam sein; tun, was erwartet, befohlen wird‹. Das andere ist umgelautet: spüren. Ursprünglich bedeutete dies so viel wie ›nachspüren, eine Spur verfolgen‹, und so wird es heute noch beispielsweise im Bereich des Jagdsports verwendet: Spürhunde spüren nach Wild. Im Laufe der Jahrhunderte wurde diese Art des Spürens, nämlich das Aufspüren im Sinne des Findens und Wahrnehmens von Spuren, auf andere Wahrnehmungsarten übertragen; heute verstehen wir unter spüren besonders die körperliche Wahrnehmung, das Fühlen, Empfinden (Kälte spüren, einen Schlag verspüren). Daneben bezeichnet das Verb jedoch auch – abweichend von der ursprünglichen Bedeutung – das nicht körperliche, sondern gefühlsmäßige, instinktive Merken und Fühlen (Wut spüren, Freude verspüren).

Auch der Sporn (Plural Sporen) lässt sich auf das Wort Spur zurückführen; interessanterweise ist hier der direkte Bezug zum Fuß, wie ursprünglich bei Spur, bestehen geblieben: Nicht nur der Fersensporn tritt am Fuß auf, Sporen kann man auch freiwillig am Fuß tragen, um ein Pferd damit anzutreiben, in diesem Sinne zu »treten«. So spürt das Pferd die Sporen und spurt – doch das führt vielleicht etwas weit. Immerhin: Hieraus ist der Ansporn als ein Antrieb, ein Anreiz aus diesem Antreiben, Anspornen entstanden.

Ob die Politiker noch weiteren Ansporn benötigen, um die Entscheidung für oder gegen einen Spurwechsel zu treffen, wird sich zeigen. Die Idee ist noch nicht vom Tisch, scheint aber weiterer Überlegungen und Veränderungen zu bedürfen. Bleiben wir den Geschehnissen auf der Spur.

Frauke Rüdebusch