Toll, toller, tollerant?
In einem Internetforum zu lesen ist gerade für Menschen, die Wert auf gepflegte Sprache und grammatische und orthographische Richtigkeit legen, oft kein Vergnügen, um nicht zu sagen, nachgerade eine Pein. Diese Foren sind Horte einer regelrechten sprachlichen Anarchie, und es gibt keine Regel, die nicht leichten Sinnes ignoriert würde. Das bewirkt vonseiten sprach- und regelbewusster Menschen oft einen düsteren Blick auf das Internet inklusive ebenso düsterer Ahnungen bezüglich der Folgen. Wenn man sich aber immer nur auf die Pirsch nach »Verfall« begibt, verpasst man möglicherweise auch etwas.
Ein kleines Beispiel: In einem Forum schreibt ein Nutzer, er sei »tollerant« geworden. Falsch!, kann man richtigerweise rufen, es muss »tolerant« heißen, denn so steht es im Wörterbuch. Im amtlichen Regelwerk § 2 steht aber auch: »Folgt im Wortstamm auf einen betonten kurzen Vokal nur ein einzelner Konsonant, so kennzeichnet man die Kürze des Vokals durch Verdopplung des Konsonantbuchstabens.«
Es gibt davon ein paar Ausnahmen, darunter »eine Reihe von Fremdwörtern«, von denen einige aufgezählt werden, aber nicht tolerant. Es ist also nicht von vornherein abwegig bei tolerant auf die Idee zu kommen, dass man es mit Doppel-l schreibt. Schließlich gibt es ja auch toll, das zwar mit dem auf das lateinische tolerare ›halten, ertragen, erdulden‹ zurückgehenden tolerant etymologisch nichts zu tun hat, aber eben im Deutschen genauso klingt wie das tol von tolerant.
Das Adjektiv toll ist ein Wort germanischen Ursprungs und hat im Laufe der Jahrhunderte eine erhebliche Bedeutungsveränderung erfahren. Ursprünglich bezeichnete es einen Zustand geistiger Verwirrung, im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm heißt es: »des verstandes und bewusztseins beraubt und darnach sich geberdend«. Heute hat toll dagegen meistens die Bedeutung ›großartig‹ wie in »ein toller Film«. Diese Bedeutungsentwicklung ist durchaus nicht ungewöhnlich und betrifft in ganz ähnlicher Weise Wörter wie irre, wahnsinnig …
Dem Zusammenhang zwischen geistiger Umnachtung und positiver Bewertung soll an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Vielleicht hat der »tollerant« gewordene Forumsbesucher aber nun tatsächlich einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen tolerant und toll (in der heute üblichen Bedeutung) hergestellt. Dass er an § 2 des amtlichen Regelwerks dachte, als er das Wort so schrieb, wie er es schrieb, darf zumindest als unwahrscheinlicher gelten. Das alles macht die Schreibung nicht korrekter, aber doch vielleicht auf eine ganz sympathische Weise falsch. Jemandem, der Toleranz so toll findet, dass er es mit Doppel-l schreibt, mag man einfach nicht allzu intolerant begegnen. Und mit einiger Gewissheit steht der »tollerante« Schreiber auch der Schreibung tolerant tolerant gegenüber.
Nicola Frank