Verkleinerung: Unterschied zwischen -chen und -lein
[F] Eine Frage beschäftigt mich schon lange, aber ich habe noch keine Antwort gefunden: Was ist der Unterschied zwischen den Verniedlichungsendungen –chen und –lein?
[A] Die Endungen (Suffixe) -chen und -lein bilden im Deutschen das Hauptinventar der Verkleinerungsbildung (sog. Diminuierung). Beide Verkleinerungsendungen sind hochdeutsch, im Niederdeutschen gilt mitunter noch die Form -ken (Kätzken).
Die Form -chen (Kätzchen), zu mittelhochdeutsch –chīn als Erweiterung von -īn, (regional auch -gen, Kätzgen) wird zunächst in einem Gebiet verwendet, das sich von der Westgrenze des deutschen Sprachgebiets etwa zwischen Aachen und dem Saarland über das Hessische und Thüringische in einem immer schmaler werdenden Streifen bis zur Oder im Osten erstreckt. Südlich des -chen-Gebietes sind regional andere Diminutivsuffixe üblich, alle enthalten den Konsonanten -l-: -el, -l, -la, -le, -li (Katzel, Katzl, Katzla, Katzle, Katzli).
Die Form -lein resultiert dagegen aus mittelhochdeutsch -lî-, erweitert um -n-, wobei -lîn wiederum diphthongiert, indem der lange Vokal durch den Doppellaut [aɪ̯] ersetzt wird. Dieses Suffix -lein (Kätzlein) wird überregional verwendet.
Heute stehen beide Suffixe, -chen und –lein, standardsprachlich nebeneinander, häufiger ist allerdings -chen. Sie drücken jeweils nicht nur eine Verkleinerung aus (Kätzchen, Kätzlein für eine kleine/junge Katze), je nach Grundwort werden Merkmale wie ›bekannt, vertraut‹ vermittelt bzw. es wird eine persönliche Beziehung ausgedrückt (Minkachen, Minkalein, wenn die liebgewonnene Katze Minka heißt). Ganz allgemein können von den Endungen »emotionale Konnotationen« ausgehen, und zwar sowohl positiv (Weinchen/Weinlein) als auch negativ (Bürschchen/Bürschlein).
Feine Unterschiede im Gebrauch der beiden Suffixe ergeben sich mit Blick auf Phonologie, Geografie und Textsorte. So wird an Substantive auf -l bzw.-le eher -chen angehängt (Spielchen, Seelchen), auf solche mit -ch, -g und -ng eher -lein (Bächlein, Ringlein). Ferner zeigt sich, dass oberdeutsche Schriftsteller vornehmlich -lein-Bildungen wählen. Das zeigt sich z. B. in den frühen Werken von Hermann Hesse.
Semantische Unterschiede bestehen indes nur in wenigen Fällen. Zu nennen ist etwa die Tatsache, dass sich Männchen und Weibchen auf Tiere beziehen, Männlein und Weiblein hingegen nur auf Menschen. Im Übrigen hat -chen eine Sonderrolle und bewirkt eine Abgrenzung bzw. Vereinzelung. Zu nennen sind etwa die »verkleinerten« Wörter Stäubchen ›Einzelteil von Staub‹, Lüftchen ›kleiner Luftzug‹ und Zuckerchen ›kleines Stück Zucker‹, die im Gegensatz zu ihren Ausgangswörtern allesamt pluralfähig sind. [Br/SB]
Quellen:
- Duden – Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle, 9. Auflage, Berlin 2021
- Wolfang Fleischer und Irmhild Barz, Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache, 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Berlin/Boston 2012
Erschienen in: Der Sprachdienst 3-4/2004, aktualisiert 09/2023