Ausgabe: Der Sprachdienst, 3/2018

Gibt es einen Unterschied zwischen Verspätung und Verzögerung?

[F] Was ist der Unterschied zwischen einer Verspätung und einer Verzögerung? Gibt es ihn überhaupt oder kann man die beiden Wörter synonym verwenden?

Gemeinsame Konsequenz ist das Warten. CC-Lizenz

[A] Verspätung oder (sich) verspäten definiert das »große Wörterbuch der deutschen Sprache« (Duden 2012) als ›verspätetes Sichereignen‹ und gibt dazu das Beispiel eines verspäteten Zuges an. Etwas ereignet sich also mit zeitlichem Rückstand, später als geplant beziehungsweise unpünktlich.

Zu dem Lexem verzögern oder (sich) verzögern findet sich folgende Erläuterung: ›Verlängerung oder Aufschiebung‹. Für das Verb sind mehrere Bedeutungen angegeben: a) ›hinauszögern‹ und b) ›sich verzögern im Sinne von später eintreten/geschehen als erwartet‹. Weiterhin gibt Duden als Bedeutung eine Verlangsamung oder das Hemmen eines Fortgangs an.

So viel also zu den einzelnen Bedeutungen der Termini. Im Synonymwörterbuch von Duden (2014) werden Verspätung und Verzögerung als mögliche Synonyme angegeben. Daher können wir annehmen, dass in jedem Fall eine semantische Überschneidung der beiden Begriffe existiert. Allerdings gibt es auch Kontexte, in denen die Begriffe nicht austauschbar sind. Das lässt sich gut anhand der beiden Wörter Fahrzeitverzögerung und Zugverspätung erklären, die im »großen Wörterbuch der deutschen Sprache« eingetragen sind. Man würde nicht von einer Fahrzeitverspätung oder von einer Zugverzögerung sprechen. Wir können also davon ausgehen, dass die Entscheidung zwischen den beiden Termini mit dem Begleitwort fällt. Für Personen würde man nie »Er hat sich verzögert«, sondern stets »Er hat sich verspätet« verwenden. Gleiches gilt für greifbare Gegenstände: »Das Flugzeug hat sich verspätet«, eher nicht »Das Flugzeug hat sich verzögert«. Für abstraktere und nicht greifbare Termini wie z. B. Zeit, Abfahrt, Prozesse (im Sinne von der Schreibprozess, der Kochprozess etc.) würde man dagegen bevorzugt verzögern verwenden: »Die Abfahrt hat sich verzögert« oder »Der Bau hat sich verzögert«.

Interessant ist auch ein kleiner historisch-etymologischer Exkurs. So schreiben zum Beispiel die Brüder Grimm (»Wörterbuch der deutschen Sprache«, 1854) zu verzögern: »(hemmender) aufschub eines noch nicht eingetretenen ereignisses über einen vorgesehenen zeitpunkt hinaus« beziehungsweise »verlangsamen, ausdehnen und verschleppen eines ablaufes bei einem vorgang bzw. einer angelegenheit«. Hier findet sich also auch der Prozess charakter wieder. Zu Verspätung oder Verspäten ist von einem »aufschub«, einem »versäumnis« oder einem »verspäteten eintreffen« die Rede. Auch hier wird Verzögerung wieder als mögliches Synonym aufgeführt. Der gemeinsame Bedeutungskern der beiden Begriffe existierte also auch schon vor über 100 Jahren.

Auch etymologisch betrachtet gibt es Überschneidungen, die sowohl das »Herkunftswörterbuch« von Duden (2002) als auch das »Etymologische Wörterbuch« von Kluge (2011) angeben. Das Verb verspäten leitet sich vom althochdeutschen spati und dem mittelhochdeutschen spaete ab, was in der Grundbedeutung so viel heißt wie ›sich hinziehen‹. Außerdem gehört es zu der indogermanischen Wortgruppe von sparen, was ursprünglich ›für später zurücklegen‹ bedeutet. Das Lateinische gibt das Wort spatium im Sinne von ›Raum, Strecke, Dauer‹ wieder.

Verzögerung oder verzögern sind auf das Verb zögern zurückzuführen, was sich vom mittelhochdeutschen zogen ableitet. Das bedeutet so viel wie ›gehen, ziehen, [ver]zögern‹. Im Neuhochdeutschen kann zogen mit ziehen übersetzt werden und bedeutet ›wiederholt hin und her ziehen‹. Es findet sich auch ein Bezug zum Wort Verzug, das mit ›Verzögerung‹ oder ›Rückstand‹ erläutert wird. Wir sehen also, dass sich der Bedeutungskern ziehen in beiden Wörtern wiederfindet.

Grundsätzlich können wir also sagen, dass Verspätung und Verzögerung zwar in einigen Kontexten synonym verwendet werden, wie z. B. »Der Angestellte musste den Brief verspätet/verzögert abschicken«, in anderen Zusammenhängen streikt allerdings unser Sprachgefühl und die beiden Begriffe lassen sich nicht austauschen (Personen, Gegenstände, Prozesse). In jedem Fall gibt es aber einen historisch-etymologischen Zusammenhang, der die Bedeutungen der beiden Wörter deutlich miteinander verknüpft.