Ausgabe: Der Sprachdienst 1–2/2024

Woke

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Ein Wort, das in den letzten Jahren rasend schnell um sich gegriffen hat, das inzwischen häufig zu vernehmen ist und mit dem doch nicht alle etwas anzufangen wissen, ist das Wort woke. Schon die Aussprache ist nicht recht zu greifen, geschweige denn die Deklination. Dass es sich nicht um ein Substantiv handelt, mag am Wort selbst abzulesen sein, immerhin wird es regelmäßig kleingeschrieben. Verwendet wird es zudem adjektivisch – attributiv (eine woke Bewegung) wie prädikativ (die Bewegung ist woke, nicht *wok) –, und damit fangen die Fragen erst an. Unschwer zu erkennen ist das Wort nicht deutsch: Es ist englisch, doch auch wer des Englischen mächtig ist, mag sich fragen: »Nanu?« Wir schauen es uns genauer an.

Das Wort woke – ausgesprochen [woʊk] – wird heutzutage verwendet, um etwas oder jemanden als ›wach, aufmerksam‹, stärker noch ›alarmiert, in Alarmbereitschaft‹ zu beschreiben, und zwar in Hinblick auf politische und gesellschaftliche Ereignisse, Zustände, ganz besonders aber Missstände und Diskriminierungen aller Art. Der Online-Duden verzeichnet es seit 2021 und bringt seine Bedeutung auf den Punkt: »in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung«.

Woke kommt also aus dem Englischen. Dass es kein Substantiv ist, haben wir bereits verhandelt, doch ein Adjektiv woke gibt es im Englischen genauso wenig wie ein infinites Verb *to woke. Anders als es zum Beispiel bei Scheinanglizismen wie Handy, Oldtimer oder Public Viewing der Fall ist, handelt es sich bei woke aber auch nicht um ein Wort, das zwar englisch zu sein scheint oder gar tatsächlich im Englischen vorkommen mag, bei uns jedoch im Vergleich zur Ursprungssprache gänzlich anders gebraucht und mit neuer Bedeutung versehen wurde. Nein, mit woke liegt der seltene Fall vor, dass wir nicht die Grundform eines Wortes entlehnt haben, wie dies in der Regel geschieht: So entlehnen wir Substantive im Singular wie Baby oder Meeting und hängen ihnen dann mitunter eine »deutsche« Pluralendung an, so bei wie Manager (englisch managers) oder Boxen (englisch boxes); wir entlehnen Adjektive, die entweder nach deutschen Regeln flektiert werden wie clean > ein cleanes Design, flashed > geflashed oder nur prädikativ verwendet werden wie happy (das Mädchen ist happy, aber selten: ein happy Mädchen, und gar nicht: ein *happyes Mädchen); und wir entlehnen Verben in ihrer infiniten Form, die wir dann ebenfalls an das deutsche Flexionssystem und unsere Rechtschreibung anpassen, wie to check > checken, to google > googlen und googeln oder to dim > dimmen.

Mit woke haben wir ein Wort ins Deutsche übernommen, das im Englischen die (irreguläre) Präteritumform des Verbs to wake (up) ›wecken, erwecken, aufwecken‹, aber auch ›aufwachen‹ darstellt (neben regulär waked [up]): I woke him at 9 o’clock – ›ich weckte ihn um 9 Uhr‹, I woke up in the middle of the night – ›ich wachte mitten in der Nacht auf‹. Damit haben wir nicht nur eine finite Verbform entlehnt, sondern verwenden diese nun auch noch adjektivisch. Wie es dazu kam, klärt ein näherer Blick auf die aktuelle Bedeutung und vor allem Bedeutungsentwicklung von woke in der Ursprungssprache, denn dort nimmt sie ihren Anfang.

Das Wort selbst existiert im Englischen natürlich schon lange, als besagte Präteritumform von wake. Verkürzt von der Partizipform woken ›aufgewacht‹ wurde es dann seit den 1930er-Jahren von der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA als Ausdruck für ein waches, wachsames Bewusstsein für soziale Unterdrückung und Rassismus verwendet, bereits damals mit adjektivischem Charakter. Insofern erhielt woke wohl »Slang«-Charakter. Seit 2014 erfuhr dieser Ausdruck weltweite Verbreitung: Die Erschießung des 18-jährigen Afroamerikaners Michael Brown durch einen Polizisten löste eine Protestwelle im ganzen Land aus; im Zuge dessen wurde »stay woke« als Warnung vor Polizeigewalt zu einem Schlagwort und diente dazu, auf systembedingte Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Dies setzte sich in der Bewegung »Black Lives Matter« fort.

Hierzulande wird woke besonders im Bereich linker Politik, spezieller noch des linken Aktivismus verwendet, etwa für Angehörige der »Letzten Generation «: Diese machen durch (zum Teil sehr umstrittene) Aktionen auf die Notwendigkeit aufmerksam, den Klimaschutz voranzutreiben. Sie sind woke, indem sie das Verhalten von »Klimasündern« anprangern. Als woke wird auch bezeichnet, wer offen für Ziele wie Gleichstellung der Geschlechter und Antidiskriminierung einsteht; als woke gelten jedoch inzwischen auch diejenigen, die andere auf (vermeintliche sozial-gesellschaftliche oder politische) Fehler aufmerksam machen: Woke ist demnach zum Beispiel, wer anderen Gendersprache vorschreibt oder bestimmte Wörter verbieten will, weil deren Political Correctness angezweifelt wird.

Dieser doch recht kontroverse und konträre Sprachgebrauch beeinflusst auch die Wahrnehmung und damit die Definition des Wortes. So wird woke mittlerweile häufig mit negativer Konnotation verwendet: von konservativer Seite mit sarkastischem Unterton, um Linke und ihre Ziele abzuwerten, von linker Seite, um zu kritisieren, wenn jemand eine Sensibilität im Hinblick auf Missstände und Diskriminierungen nur vorzugeben scheint. So gibt das Pons- Online-Wörterbuch als Bedeutung nicht mehr nur die auch im Duden zu findende neutrale Definition an, sondern weist als zweite Bedeutungsebene des Wortes auch jene Abwertung für nur vorgegebenes »wokes« Verhalten aus. Die Konsequenz: Das Wort woke mutiert mehr und mehr zu einem Schimpfwort, und selbst linke Gruppierungen, die sich bisweilen selbst als woke in seinem ursprünglichen Verständnis bezeichneten, nehmen davon immer mehr Abstand.

So rasant das Wort aufgestiegen ist, um mit dem Finger auf Missstände und Diskriminierungen zu zeigen, damit diese aus der Welt geschafft werden können, so schnell scheint es im Verfall begriffen, indem ein ebensolcher Finger heute vermehrt auf das Wort selbst gerichtet wird. Dass es dadurch wieder in Vergessenheit gerät, ist zu bezweifeln, eignet es sich doch hervorragend, um nun selbst als Mittel der Diskriminierung herzuhalten. Dass oder ob dies ein Zeichen unserer Zeit ist, stellen wir zur Diskussion.

Frauke Rüdebusch